Die Front gegen Kolumbiens Kokainmafia bröckelt

Heute wirbt der kolumbianische Präsident Virgilio Barco vor der UNO um internationale Hilfe für den Drogenkrieg / Zuhause weitet sich die Kritik an der Regierung aus / Stillschweigender Pakt mit Teilen der Drogenmafia / In Medellin honoriert die Mafia den Bürgermeister  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

„Es gibt kein Übel das hundert Jahre dauert, noch gibt es ein Land, das dies aushalten könnte.“ Das Sprichwort macht derzeit überall in Kolumbien die Runde. Der Krieg gegen die Drogenmafia kann nicht endlos weitergehen. Sechs Wochen sind seit der Ermordung des liberalen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galan und dem Beginn der Offensive der Regierung gegen die Kokainbarone vergangen. 1.055 Grundstücke der Drogenbarone wurden besetzt, 10.318 Waffen, 531 Fahrzeuge und 378 Flugzeuge beschlagnahmt. Im Gegenzug starteten die Kokainbarone des Kartells von Medellin einen beispiellosen Bombenterror, der bisher zehn Tote und über 130 Verletzte forderte. In der Hauptstadt Bogota, wo sich in den letzten zwei Wochen die Anschläge häuften, hat jeder schon einmal den dumpfen Knall einer Explosion gehört: wahllos gehen die Bomben in Banken, Supermärkten und Schulen hoch. Selbst hartgesottenen Kolumbianern - und das sind angesichts der schon lange allgegenwärtigen Gewalt die meisten - fällt die Gewöhnung an den Terror schwer. Angst und Panik machen sich breit.

Vor seiner Abreise in die USA meinte Präsident Virgilio Barco am Dienstag in einer Fernsehansprache, die Mafiosi seien „praktisch umzingelt“. Wunschdenken oder Realität? Die Regierung braucht jedenfalls die Verhaftung der beiden mutmaßlichen Drahtzieher hinter den mörderischen Todesschwadronen, Rodriguez Gacha und Escobar, die das Kartell von Medellin anführen. Von Anfang an lief die Strategie Barcos darauf hinaus, die gewalttätige Speerspitze der Mafia zu brechen - und sich nicht am unmöglichen Unterfangen zu versuchen, den lukrativen Rauschgifthandel gänzlich zu unterbinden. Mafiosi, die sich von der Gewalt des Kartells von Medellin distanziert und sich mit der althergebrachten Bourgoisie weitgehend verquickt haben, kommen bislang ziemlich ungeschoren davon: So sind die Mafiosi des Kokainkartells von Cali einer militärischen Bilanz zufolge nur um 27 Besitztümer erleichtert worden lächerlich wenige gegenüber den Verlusten, die das Kartell von Medellin einstecken mußte.

Die Verhaftung der zu Staatsfeinden deklarierten Gonzalo Rodiguez Gacha und Pablo Escobar aber drängt: Angesichts des Terrors und der bisherigen Mißerfolge beginnt unter den Politikern, der Justiz, der Presse und der Bevölkerung die Unterstützung des Drogenkrieges zu bröckeln. Zum Teil trägt die Regierung daran selbst Schuld. Erst verstrickten sich ihre Minister heillos in Widersprüche, als im Kongreß über die von der Mafia unter Mitwissen der Streitkräfte angeworbenen ausländischen Söldner debattiert wurde. Dann entließ Präsident Barco vergangene Woche Monica de Greiff. Die 32jährige Justizministerin, die eine Symbolfigur im Kampf gegen die Drogenmafia geworden war, wollte offenbar entgegen allen Gerüchten - auf ihrem Posten aushalten. Die Entlassung erfolgte in einem denkbar ungünstigen Moment: Innerhalb der nächsten zwei Wochen hat das Oberste Gericht darüber zu befinden, ob die von der Regierung erlassenen Dekrete - wie die Beschlagnahmung von Eigentümern der Drogenmafia und die Auslieferung von Mafiosi an ausländische Staaten durch Beschluß der Exekutive - verfassungsgemäß sind. Die allermeisten Juristen sind da skeptisch.

Ein Dialog mit den Anführern des Kartells von Medellin ist für Präsident Barco anscheinend derzeit ausgeschlossen. In der ZweiMillionen-Stadt Medellin scheint es dagegen zu einer stillschweigenden Übereinkunft gekommen zu sein.

Nachdem der konservative Bürgermeister Juan Gomez Martinez von Beginn des Drogenkrieges an auf die Notwendigkeit eines Dialogs gepocht hatte, stellte die Mafia nach einer anfangs brutalen Offensive in den letzten zwei Wochen dort tatsächlich „als Zeichen ihres guten Willens“ die Anschläge ein. „Wir haben die Ruhe in Medellin wiederhergestellt“, prahlte daraufhin General Jose Gregorio Torres, Kommandant der IV. Brigade. Doch wie?! 28 angebliche Mitglieder der Guerillabewegung ELN wurden verhaftet und für die Sprengstoffanschläge der Mafia verantwortlich gemacht. Nur, angesichts des fanatischen Antikommunismus der Kokainbarone ist eine solche Zusammenarbeit mit der Guerilla höchst unwahrscheinlich. Zudem befanden sich unter den 28 vermeintlichen Bombenlegern vier Mitglieder eines linken Sozialforschungsinstituts. Dem General scheint in erster Linie daran gelegen zu sein, „linke Störenfriede“ festzusetzen.

Bei seiner Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen wird Präsident Barco erneut um internationale Unterstützung bitten. Man wird sie ihm versprechen, und die Briten haben bereits ein Kriegsschiff losgeschickt, das vor Kolumbiens Karibikküste nach Rauschgiftschmugglern Ausschau halten soll. Eine Hilfe von dubiosem Wert. Präsident Barco jedenfalls setzt da eher auf die Verhaftung einiger weniger Mafiosi und hofft so, dem Terror - nicht dem gesamten Rauschgifthandel - ein Ende zu bereiten. Für ihn und Kolumbien zeigt die Uhr kurz vor zwölf an - jeder dumpfe Knall einer Bombe treibt den Minutenzeiger voran.