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DDR-Opposition spricht von einem „opportunistischen Schachzug“

Ost-Berlin (ap) - Das Einlenken der Ostberliner Regierung in der Frage tausender DDR-Ausreisewilliger in den bundesdeutschen Botschaften in Prag und Warschau ist vor allem in oppositionellen Gruppierungen der Deutschen Demokratischen Republik auf heftige Kritik gestoßen. Die SED -Führung habe entgegen aller ihrer Gesetze einen „opportunistischen Schachzug“ gemacht, damit ihr ohnehin angeschlagenes internationales Ansehen nicht noch weiter schwinde, meinte am Sonntag ein führender Vertreter der Demokratiebewegung „Neues Forum“. Andere Oppositionelle fürchten nach der Zustimmung Ost-Berlins zur Ausreise der DDR-müden einen „Nachahmungseffekt“ und damit eine weitere Zunahme des Massenexodus.

In Kreisen der evangelischen Kirche wurde die Entscheidung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands offen als „Aufgabe der Rechtsstaatlichkeit“ kritisiert. Während Gruppierungen, die den Dialog mit dem Staat suchten und demokratischere Verhältnisse im Lande anstrebten, als „Staatsfeinde“ dargestellt würden, dürften Bürger, die mit dem Lande nichts mehr im Sinn hätten, erfolgreich ihre Ausreise erzwingen. „Unsere Regierung verhätschelt die falschen Leute“, meinte ein Pfarrer.

Die offenkundige Politik von Staats- und Parteichef Erich Honecker, alle Ausreisewilligen gehen zu lassen und mit den Verbleibenden den „Sozialismus in den Farben der DDR“ aufzubauen, wird von den Regimekritikern als „eklatante Fehleinschätzung“ eingestuft. Immer mehr Menschen hätten jetzt Lust, sich „auch in die Schar der Weggehenden einzureihen“. Es gebe wissenschaftliche Untersuchungen, wonach ein Ausreiser zwei weitere nach sich ziehe, hieß es. Dringend nötig seien jetzt Reformen in der DDR, um den Wunsch nach Ausreise geringer werden zu lassen, meinte ein Mitglied des „Neuen Forum“.

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