: Psychiatriegruppen in Not
■ Senat stellt für 31 Projekte sieben Millionen Mark zur Verfügung / Versorgung in Gefahr: Arbeitsgemeinschaften fordern drei Millionen Mark mehr
Massive Kritik gegen die Psychiatrieplanung des Senats hagelte es gestern von mehreren Seiten. Anlaß ist der vorliegende Haushaltsentwurf, wonach das Psychiatriereferat der Gesundheitsverwaltung 1990 sieben Millionen Mark erhalten würde. 31 Projekte und eine Selbsthilfegruppe sollen damit über die Runden kommen. Nach Auffassung der überregionalen Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften wird der Etat damit „eingefroren“. Die Berliner Psychiatriegruppen fordern nun drei Millionen Mark an zusätzlichen Mitteln für ihren Bereich. Moniert wurde auch, daß der vorgesehene Psychiatrieplan immer noch nicht fertig ist. Christian Will von der Krisen- und Beratungsstelle in der Pallasstraße warf der Gesundheitsverwaltung „Verzögerungstaktik“ vor.
Gisela Wirths, gesundheitspolitische Sprecherin der AL -Fraktion, bezeichnete den Haushaltsentwurf als „nicht akzeptabel“ und zückte die Koalitionsvereinbarungen. Darin ist unter anderem die Verlagerung der Kompetenzen in die Bezirke festgelegt. Deshalb fordert ihre Fraktion, daß noch im Jahre 1990 in zwei Berliner Bezirken „modellhaft die Verlagerung der Kompetenzen und Gelder der Senatsverwaltung in die Bezirke probiert wird“.
Am stärksten leidet nach Angaben der Arbeitsgemeinschaften die berufliche Rehabilitation für Psychiatriepatienten unter dem Geldmangel. Die zusätzlich geforderten Finanzen würden für Beschäftigungs- und Tagesstätten, für Betriebe mit Zuverdienstmöglichkeiten, für Psychiatriebetroffene, für therapeutischen Wohngemeinschaften und die ambulanten Krisendienste benötigt. Friedrich Kiesinger vom „Verein Albatros“ forderte für seinen Arbeitsbereich in den Kontakt und Beratungsstellen eine Aufstockung des Personals von dreieinhalb auf fünf Mitarbeiter pro Einrichtung. Für therapeutische Wohngemeinschaften komme es nach den gegenwärtigen Plänen sogar zu massiven Kürzungen. Der Etat schrumpfe hier von 200.000 auf 50.000 Mark, so daß 1990 nur zwei neue dieser Wohngemeinschaften gegründet werden könnten. In bestehenden Krisendiensten sei es derzeit aufgrund von Personalmangel nicht möglich, rund um die Uhr geöffnet zu haben. Auch das von der „Irrenoffensive Berlin“ geplante Weglaufhaus, das Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften als sinnvolle Ergänzung zu Krisendiensten ansehen, sei vom Senat versprochen worden und falle jetzt unter den Tisch.
Wenn auch nicht finanzielle, so doch ideelle Hilfe erhielt man vom Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber. Er unterstützte die Forderung nach mehr Geld und sagte, der Haushaltsplanentwurf 1990 setze „falsche Prioritäten“.
lus
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