Schlimme Wendung-betr.: "Den Genozid zum Gärtner gemacht", taz vom 26.9.89

betr.: „Den Genozid zum Gärtner gemacht“, taz vom 26.9.89

Ich gehören zu der Generation, die sich heftig mit ihren Vätern angelegt hat, um die Greuel der Nazizeit wirklich aufzuarbeiten. Zur Scham über den Holocaust an den Juden kam das Verlangen, solche Barbarei - wo und von wem auch immer zu bekämpfen. Das Vermächtnis dieser Zeit legt uns Deutschen besonders nahe, für die Rechte des jüdischen Volkes einzutreten. Aber kann daraus für alle Zeit ein Tabu abgeleitet werden? Darf die Wahrheit über die israelische Politik nicht mehr laut ausgesprochen werden? Indem Sie den Widerspruch zur Politik Isaraels wieder mit dem Verdikt des „Neoantisemitismus“ belegen, wird de facto ein Kritikverbot verhängt. Soll das die Konsequenz aus der jahrhundertedauernden Judenverfolgung sein?

Ich habe den Filmbericht von G.Troeller nicht gesehen und kann darüber nicht urteilen; wohl aber über die Qualität einiger Ihrer Argumente.

a) Troeller hat (zititert nach Ihrem Beitrag) gesagt: Da „könnte Friede herrschen, wenn die Israelis sich mit den ihnen international zugestandenen Gebieten begnügen würden“. Sie schreiben daraufhin: „Die SA brüllte besser: 'Steckt die Juden ein, und das Land wird ruhig sein.'“ Die Aussage Troeller ist insoweit völlig richtig, daß vor allem der Staat Israel sich einer friedlichen Lösung des Nahost -Konflikts widersetzt, indem er auf annexionistischen Positionen beharrt und das Existenzrecht des palästinensischen Volkes bestreitet. Was hat dieser Sachverhalt mit dem SA-Zitat zu tun? Hier sollen doch wohl Emotionen geweckt werden, oder?

b) Sie beziehen sich auf die herbe Kritik Troellers an der Schließung der Schulen und Universitäten in den Besatzungsgebieten. Ihre Replik: „Unerwähnt bleibt, daß hier das Bildungssystem erst von Israel aufgebaut wurde.“ Doch was ändert diese Tatsache an der aktuellen Schweinerei? Daß diese Maßnahme damit zu tun hat, daß die herrschende Politik in Israel den AraberInnen und PalästinenserInnen nur den Status von ungelernten, billigen Arbeitskräften zubilligen will, ist doch nicht von der Hand zu weisen. Im übrigen war diese schlimme Einstellung auch Interviews mit jungen Israelis zu entnehmen, die vor kurzem im Fernsehen zu sehen waren: Als „Menschen zweiter Klasse“ dürften die Araber bleiben. So wörtlich. Dies aus dem Mund der Nachkommen des Holocaust. Ist dies nicht erschütternd?

c) „Wenn es denn noch gesagt werden muß: Ja, es gibt aggressive, überforderte, durchdrehende Soldaten, es gibt, wie überall, wo Militärs das Sagen haben, Gewalt, es gibt reaktionäre Siedler.“ Hier machen Sie es sich doch verdammt einfach. Das Problem sind nicht die einzelnen Soldaten, denen man jetzt Brutalitäten in die Schuhe schiebt. Das Problem ist das politische und geistige Milieu, in dem solche Barbareien, wie sie nahezu täglich passieren, möglich sind. Und die Sprengung der Häuser bloß verdächtiger (und manchmal noch nicht mal das) palästinensischer Familien, die Deportation und die Erschießungen Tausender Jugendlicher sind und bleiben barbarische Akte. Daß es religiös -fundamentalistischen Wahn, der zur Intoleranz und Aggressivität führt, auf beiden Seiten gibt, ist völlig klar. Aber die eindeutig überlegene Seite hat es eher in der Hand, durch eine vernünftige Politik dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.

d) Sie machen keinen Hehl daraus, daß die Intifada nur eine, von irgendwelchen Verführern gelenkte Sache ist, in der „Kinder verheizt“ werden. Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, daß man sich blind gegenüber den Fakten stellen will. Natürlich gibt es die politische Leitung durch die PLO, natürlich gibt es Kinder, die Unverstandenes nachplappern. Aber das ändert keinen Deut daran, daß dieser Aufstand, der wahnsinnige Opfer kostet, eine Basis in der Unterdrückung durch das Besatzungsregimes hat. Warum schreiben Sie nichts dazu, Herr Singer? Sind Sie für die Fortdauer dieser Besatzungsmacht oder nicht?

e) Der Judenstaat ist mit Sicherheit nicht faschistisch. Aber es müß te auch Ihnen zu denken geben, welche Bündnispartner sich die israelische Politik im internationalen Maßstab ausgesucht hat: Enge Beziehungen zu Südafrika, Waffenlieferungen an Khomeinis Kriegsführungsregime im Iran, die militärische Unterstützung von Militärdiktaturen in Südamerika.

Es gibt genug Gründe, die aktuelle israelische Politik scharf zu kritisieren. Das was in West-Beirut passiert ist (von Bruno Kreisky damals als semi-faschistisch bezeichnet) sollte auch nicht vergessen werden. Das allgegenwärtige und geschichtlich verständliche Gefühl des Bedroht-Seins ist offensichtlich umgekippt in eine aggressive Herrschermentalität. Diese schlimme Wendung wird derzeit von mehr und mehr Israelis kritisch aufgearbeitet (leider nicht von Ihnen). Es besteht also Hoffnung, daß im Nahen Osten doch noch Friede einkehrt.

Paul Schäfer, Bonn 1