piwik no script img

Brigitte Kronauer kommt

■ Kostprobe aus einem Erzählband der Hamburger Autorin: „Die gemusterte Nacht“

Plötzlich, von einem zum andern Augenblick, aus heiterem Himmel habe ich diesen entscheidenden, wirklich entscheidenden und nicht mehr rückgängig zu machenden Schritt getan. Beim Aufwachen, während einer Autofahrt, beim Durchblättern des neuen Quellekatalogs? (...) Ja, es passierte beim Ansehen des Quellekatalogs, auf der Seite 59, beim Anblick von vier Frauen in langen Kleidern, mit kurzem mittelblondem Haar, obendrein alle vollkommen ähnlich.

Es waren Fotos von Frauen mit runden, weiblichen Oberarmen. Sie lächelten und wirkten sehr sauber, man konnte sich denken, man mußte automatisch denken, daß sie an ihrem ganzen Körper sehr reinlich sein würden, auch inwendig. Ich habe diese Frauen nie als die Bilder von lebendigen erkennen können, obschon gerade sie so aussehen, wie viele auf den Straßen und in den Kaufhäusern, auf Urlaubsfahrten, Festen und in Konzerten, gerade so sehen sie aus. Aber auch diese wirken ja nie lebendig in dem Sinne, daß man sie an einer Stelle auf sich beziehen könnte. Sie sind wie eine andere Rasse, vor allem habe ich nie ihr Alter schätzen können, ja, das war es in der Hauptsache: Diese Frauen hatten den typischen, unverwechselbaren Zustand des Erwachsenseins erreicht, die ausgemachten Erwachsenen, so, wie ich sie mir auch als Kind schon immer vorgestellt habe. (...)

Immer die gleiche Art, eine so wirklich wie die andere, keine ging mir näher als die andere, ich hatte nichts gegen sie, aber sie waren aus einem anderen Material, erwachsene Menschen, die herumgingen und lebten, ja sicher, wie ich, aber ich sah nichts als Körper von Erwachsenen, einmal zwei -, einmal dreidimensional, die standen oder sich bewegten, ich sprach mit ihnen, aber sie stellten etwas ganz anderes dar, so wie Leute in Uniform, Polizisten, Kontrolleure, nur mit äußerster Anstrengung und gutem Willen als leibhaftige Menschen zu erkennen sind, die atmen und schwitzen. (...) Es blieben feste Figuren, alle aus dem gleichen Stoff, es gab auch innerhalb der Personen keine Schichten, sie waren innen wie außen, vom Bauch bis zum Rücken durchgehend und vom Haar bis zu den Fußsohlen.

Welche mehr - und Neues! - von Brigitte Kronauer hören (und sehen) möchten: heute, 20 Uhr, Galerie Steinbrecher, Am Dobben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen