: Bilanz der Hilflosigkeit
Zur Debatte über ein Verbot des Ozonkillers ■ K O M M E N T A R E
Nichts hat wohl den Menschen in den letzten Jahren so sinnfällig und bedrohlich vor Augen geführt, welche weltumspannend lebensbedrohlichen Fähigkeiten die Industriegesellschaften entwickelt haben, wie das Ozonloch. Die vor wenigen Tagen erfolgte Meldung über eine weitere dramatische Abnahme der schützenden Ozonschicht über der Antarktis trifft hierzulande auf eine geschärfte Sensibilität für die hausgemachte Katastrophe. Vom fehlenden Bewußtsein der Bevölkerung werden jedenfalls keine Maßnahmen blockiert, und auch im Bundestag sind sich alle mit dem Thema befaßten Politiker in der Bedrohungsanalyse einig ideale Bedingungen also, in der Bundesrepublik als einem der weltweit größten Produzenten der Fluorchlorkohlenwasserstoffe eine drastische Kehrtwende zu beschließen.
Doch weit gefehlt. Auch nach mehr als zweijähriger Debatte über den Stoff, der neben dem Ozonloch auch wesentlich für den Treibhauseffekt verantwortlich ist, stehen die Politiker mit leeren Händen da. Der Beschluß zur stufenweisen Reduzierung war löblich, doch offenbar bloßes Papier. Die FCKW-Produzenten Kali-Chemie und Hoechst ignorieren nämlich schlicht den Wunsch der Parlamentarier, doch bitte, bitte nicht soviel zu produzieren. Sie, die es bisher selbst schafften, ihre Produktionsmengen geheimzuhalten, lassen sich auch von der verringerten Nachfrage im Inland nicht beeindrucken. Die Produktion ist gleichgeblieben, dafür wird nun über 60 Prozent der hergestellten Menge exportiert, auch wenn es für die Ozonschicht unerheblich ist, von welchem Ort der Erde aus sie kaputtgemacht wird.
Unwidersprochen darf der SPD-Politiker Michael Müller deshalb den Bankrott der Politik feststellen: Das Parlament müsse endlich das „Primat der Politik“ durchsetzen, appellierte er in der gestrigen Debatte ausgerechnet an dem Ort, wo nach geltender Meinung das Zentrum politischen Handelns liegt. In Müllers Worten schwingt die Verzweiflung darüber mit, daß selbst bei im höchsten Maße existenzbedrohlichen Fragen der Menschheit dem ungehemmten Profitstreben nicht Einhalt geboten werden kann. Ein Lehrstück in Sachen realer Kapitalismus ist dies sicherlich. Doch wer vorab, wie Umweltminister Töpfer, bei Verbotsüberlegungen vor allem mögliche Widerstände aufführt, trägt zur Politikunfähigkeit bei. Die Industrie wird das Signal verstehen und weitermachen wie bisher. Und welche Bedeutung der Klimakatastrophe und der Zerstörung des Ozonschilds im Regierungslager zugemessen wird, ist bereits daran abzulesen, daß genau fünf der 282 CDU/FDP-Abgeordneten der eineinhalbstündigen Debatte beiwohnten.
Gerd Nowakowski
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