: Die Stunde der Claqueure
■ „The Irish Folk Festival '89“ in der Hochschule der Künste
Christy Moore, einer der profiliertesten irischen Musiker, pflegt sofort in seinen Songs innezuhalten, sobald sich das Publikum anschickt, begeistert mitzuklatschen. „Probieren wir's einfach noch mal“, sagt er in solchen Fällen nach tadelndem Kopfschütteln, und in der Regel sind die Leute fortan still. Christy Moore ist jedoch nicht dabei beim „Irish Folk Festival '89“, das derzeit durch deutsche Lande in Ost und West tourt, und so durften sich die Claqueure in der HdK frei entfalten.
Deren Treiben kann durchaus angebracht und hilfreich sein, etwa, wenn Pogues oder Dubliners den Wild Rover gröhlen, wirkt aber äußerst störend, wenn Leute wie Mairead Ni Mhaonaigh aus Gweedore/Donegal, Frankie Kennedy aus Belfast oder der Chieftain-Nachfahre Sean Og Potts mit Geige, Flöte und irischem Dudelsack filigrane Melodienfolgen zu Gehör bringen. Das deutsche - und irische - Klatschen ist eben nicht wie etwa im Flamenco ein zusätzliches Instrument, sondern - zumal meist bar jeden Taktgefühls - ausschließlich dazu angetan, die Musik plattzuschlagen und zu malträtieren, bis kein Funken Leben mehr in ihr wohnt.
Immerhin verstummten auch die emsigsten Handflächen, als Mairead Ni Mhaonaigh die Fiedel beiseite legte und mit ihrer „verzaubernden“ (Celtic Hour, New Jersey) Stimme in gälischer Sprache abgrundtief traurige Lieder aus Irlands rauhem Nordwesten sang, unterlegt mit herzzerreißenden Klängen der Querflöte und der „Irish Pipes“. Dies war der Auftakt des Programms und gleichzeitig auch schon sein Höhepunkt, wiewohl die anderen Künstler keineswegs schlecht waren.
Da war zum Beispiel Andy M. Stewart, ein Schotte, der sich nicht vor irischen Songs scheut, der zur Gitarren- und Bouzoukibegleitung von Manus Lunny einen der wenigen schottischen Siege über die Engländer besang und der Deutschland vor allem deshalb in ewig guter Erinnerung behalten wird, weil er hier sein Lieblingswort gefunden hat: „Auspuff!“
Den größten Jubel im Saal ernteten die singende Harfenistin Maire Ni Chathasaigh und der virtuose Gitarrist Chris Newman. Technisch perfekt, intonierten die beiden geradezu halsbrecherische Läufe auf ihren Instrumenten, ein wenig seelenlos zwar, aber rasant und vor allem prima geeignet zum Mitklatschen. Das von sich selbst enthusiasmierte Publikum mochte die Beiden gar nicht von der Bühne lassen, obwohl doch der Höhepunkt des Abends erst noch folgen sollte: „Patrick Street“, eine All Star Band des Irish Folk, in der sich recht unterschiedliche Musiker zusammengefunden haben.
Da war einmal Andy Irvine, die einzige Folkgröße der Insel, die sich dem allgemeinen Trend zum Folkrock konsequent verweigert. In zwanzig Jahren hat Irvine dieselbe Entwicklung durchgemacht wie etwa Joan Baez: gar keine. Wie einst bei Sweeney's Men oder Planxty spielt er komplizierte Tonfolgen auf Gitarre und Bouzouki und singt dazu seine wunderschönen Lieder. Und es ist gut so.
Ihm zur Seite, aufrecht wie eine der Birken des William Butler Yeats, der verdiente Geiger Kevin Burke, sowie, weniger aufrecht, Jackie Daly am Akkordeon, der sich einige Male grauslich verspielte. Dazu ein Gitarrist, der im Gegensatz zu Andy Irvine bereits alles mögliche gemacht hat, Leadgitarrist von Marianne Faithful war und auch schon als Punkrocker zu Ehren gekommen ist: Gerry O'Beirne, diesmal extrem brav und streng akustisch. Die vier Koryphäen boten eine solide Vorstellung, die im Finale aller neun Musiker und zwei Musikerinnen gipfelte: trotz einiger Ungereimtheiten die effektvolle Abrundung eines gelungenen Konzertes.
Noch viel runder wäre die Sache allerdings gewesen, wenn endlich der Vorschlag des Kollegen Droste Gehör fände, bei bestimmten Konzerten den Besuchern am Eingang Handschellen anzulegen.
Matti Lieske
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