piwik no script img

Einsam zu weißen Gipfeln

■ Runterbrettln kann jeder. Oder fast jeder. Ob es den Bergen und der Landschaft nun gefällt oder nicht. Ökologisch Skifahren, ohne Lift,Schneekanone und Massenabfahrt ist jedoch eine Kunst, die kaum jemand...

Einsam zu weißen Gipfeln

Runterbrettln kann jeder. Oder fast jeder. Ob es den Bergen und der Landschaft nun gefällt oder nicht. Ökologisch Skifahren, ohne Lift, Schneekanone und Massenabfahrt ist jedoch eine Kunst, die kaum jemand beherrscht.

HANS STEINBICHLER, selbst ein Mann der Berge, schwärmt vom Skibergsteigen.

chtzigtausend Kilometer verwüstete Alpenlandschaft stehen auf dem Negativkonto des Pistenskilaufs. Er hat in den Bergen mehr zerstört als die Straßen, die Eisenbahnen oder die Anlagen der Elektrizitätswirtschaft. Und dennoch wird das Skifahren auf der Piste zu den „gesunden“ Sportarten gezählt. Doch die Spuren, die dieser Freizeitsport hinterläßt, sind für die Berge katastrophal: gerodete Wälder, verrohrte Bäche, planierte Wiesen, verdrahtete Hänge, eine Unmenge von Maßnahmen für die Infrastruktur, wie Zufahrtsstraßen, Betriebsgebäude, Lift- und Bahnstationen, Sprengbahnen, Lawinenverbauungen, Pistenwalzen und nun neuerdings die Energie und Wasser verbrauchenden Schneekanonen mit ihren Leitungen und Pumpstationen.

Wer aus dem Heer von Pistenfreaks, die die weiße Pracht eines strahlenden Wintertages genießen, hat je eine Piste im Sommer gesehen, hat sich Gedanken gemacht, auf welche Weise für ihn die Landschaft umgestaltet werden muß? Besuchen Sie eine Skipiste im Sommer, wenn der Schnee als Wasser zu Tal geflossen ist, wenn die fortschreitenden Erosionen sichtbar werden...

All diese Voraussetzungen sind dagegen dem Tourenskilauf fremd. Der Skibergsteiger zieht eine Spur im Schnee, sie wird vom Wind verweht, von der Sonne geschmolzen. Er meidet jeden Kontakt mit Steinen, Büschen oder Bäumen (schon wegen der drohenden Verletzungsgefahr), er fräst nicht über apere (schneefreie) Stellen, um die Ski nicht zu zerstören, er verhält sich in der Natur wie ein Pfadfinder - hinter ihm bleibt nur die Spur im Schnee. Das ist nicht der Idealfall, das ist das Normale, alles andere wäre Auswuchs.

or 101 Jahren rückte der Ski schlagartig in die Spalten der Weltpresse: Fridtjof Nansen hatte Grönland mit Laufski durchquert und stellte fest, daß ihm dieses Unternehmen ohne dieses Hilfsmittel nie geglückt wäre. Sein Lob auf den Schneeschuh erreichte hymnische Höhen: „Wenn irgendeiner den Namen des Sportes aller Sporte verdient, so ist es das Schneeschuhlaufen. Nichts stählt die Muskeln so sehr, nichts macht den Körper geschmeidiger und elastischer, nichts verleiht eine größere Umsicht und Gewandtheit, nichts stärkt den Willen mehr, nichts macht den Sinn so frisch wie das Schneeschuhlaufen.„

Es dauerte nicht lang, und auch die Bergsteiger benützten diese Geräte aus dem hohen Norden, um die Alpen auch im Winter besuchen zu können. Bereits 1897 durchquerte Wilhelm Paulcke das zentrale Berner Oberland, auch heute noch eine der ganz großen Skitouren. Er schrieb nach dieser Fahrt: „Neues Land hatten wir entdeckt, neues wundersames Leben erfüllte unser Herz. Andere Freunde führten wir in dieses Zauberreich des Winters ein und wurden zu Aposteln seiner Schönheit und der von ihr ausstrahlenden Kraft.“ Wenige Jahre später bestieg ein weiterer bedeutender Skipionier das Finsteraarhorn (4274 Meter), Henry Hoek. Er ist in Deutschland der erste, der das Erlebnis Ski auch in Sprache umsetzt. In seinem Buch „Wege und Weggenossen“ ist zu lesen: „Ich begann meinen nächtlichen Gang. Leise singend zogen meine Ski durch den kühlen Schnee. Baumgruppen kommen und gleiten still vorbei. Es ist kein Schreiten, es ist ein fast körperloses Ziehen; wie ein Schatten empfinde ich mich, wie ein lautloses Gespenst. In einzelnen Stößen packt mich der Wind. Zerriebene Schneekristalle wie feinster Sand um meine Füße. Schneestaub kühlt mir die heiße Stirn. Sinnend gleite ich durch die kristallene Klarheit der Winternacht.„

as wurde nun aus diesem idealen Lauf- und Ausdauersport in einer großartigen Landschaft? Welches Bild bietet der heutige Skifahrer? Welche Freiheiten hat er noch? Vereinnahmt von der Mode, die sich hier in allen Bereichen austoben darf, unterwegs in umzäunten Flächen, inmitten von Tausenden, die gleich ihm oder ihr gleiten, rutschen, fallen und warten. Beim Pistenskilauf haben wir es wieder gelernt, das Einfügen in die Reihe, das Hintereinander, das Einer -Nach-Dem-Anderen. Warten in der Autoschlange, warten am Parkplatz, an der Kasse, an der Seilbahngondel, an den Liften, im Selbstbedienungsrestaurant. Skifahren selbst keine zehn Prozent der Zeit. Und das alles kostet eine Menge Geld. Anreise, Unterkunft, Skipaß, dazu die Ausrüstung, Kleidung, Schuhe, Ski, Bindung, Accessoires - ein Industriezweig ist hier entstanden, hat diesen Sport geprägt und in völlig andere Bahnen gelenkt. Der Pistenskilauf ist degeneriert, er hat sich irgendwie überlebt: umweltbelastend, modegebunden, verletzungsanfällig, teuer und daher unsozial (was kostet es, eine vierköpfige Familie auszurüsten, in ein Skigebiet zu fahren, Liftkarten zu erstehen, 14 Tage in einem Hotel zu wohnen?).

Und dennoch verfügt der Skilauf über all die Eigenschaften, die ein Gegengewicht zu unserer ungesunden Lebensweise sein könnten, wie Naturnähe, frische Luft, Bewegung, Schulung von Motorik und Gleichgewichtsgefühl. Vieles davon findet sich im Langlauf. Die Urform des Skifahrens hat in erstaunlicher Weise neue Freunde gewonnen. Langlauf ist preiswert, wenig verletzungsanfällig und besitzt einen hervorragenden Trainingseffekt. Aber es bleibt ein Sport in vorgegebenen Spuren, ohne die Möglichkeit seine eigenen Wege zu gehen.

er Skibergsteiger dagegen ist frei. Er benötigt keine Loipenmaschine, keine Seilbahn, keine Lifte. Seine Spur legt er selbst. Er kennt die Strukturen des Schnees, weiß um die Lawinengefahr, kann mit Karte, Kompaß und Höhenmesser umgehen, kann auch eine Nacht in Kälte und Sturm überstehen. Skibergsteiger wird niemand im Acht-Tage-Kurs. Wer in der grandiosen Welt der winterlichen Berge unterwegs ist, muß Bergsteiger und Skifahrer zugleich sein, muß jahrelang trainieren.

Ich werde oft gefragt, was würdest du sagen, wenn alle die Pistenfahrer auf Tour gehen würden? Diese Gefahr besteht jedoch nicht. Denn vor der Skitour steht die Barriere der Erfahrung und des Schweißes. Die unbeschreibliche Schönheit eines Wintertages im Hochgebirge muß Schritt für Schritt erobert werden. Der Aufstieg über die weiten unberührten Flächen, der Kontrast zum Gewimmel der Skiarena, der Schritt aus dem Lärm und der Hektik in die große Stille, der Gang hinauf zum Gipfel mit der grenzenlosen Sicht, die Fahrt im lockeren Pulverschnee, das schwerelose Gleiten und Schwingen, all das kann nicht gekauft oder geschenkt werden.

er Skibergsteiger trägt wesentlich mehr Gewicht im Rucksack, die Wege sind verschneit, die Markierungen verborgen, die meisten Hütten sind geschlossen, Gefahren durch Lawinen drohen, und ein Beinbruch im Hochgebirge, weitab von der nächsten Rettungsstation ist eine Katastrophe - und dennoch, stundenlang bergansteigen, im tiefen Schnee oder auf eisigen Flächen, den Gipfel erreichen, die umfassende Sicht genießen und dann ins Tal abfahren, sturzfrei, mit sauberen Schwüngen, vorbei an Spalten und Felsen, über Windgangeln und verharschten Passagen, in grundlosem Pulver und knietiefem Firn, durch Buschwerk und Wald, in Kälte, Sturm und Schneefall, allen Situationen gewachsen - das ist die Skitour.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen