: Und die Muezzine wären dann Frauen!
■ Leidenschaftliches Plädoyer für die Wiedereroberung des weiblichen Schreibens
Assia Djebar
In der Gesellschaft, in der alle Macht den Männern vorbehalten ist, drängt eine dumpfe Kraft zur Auflösung, zum Staub, zur ständigen und sinnlosen Verschwendung (von Blut, von Hoffnung...). Die Zerstörung nagt vor allem von innen, unaufhörlich wandert sie die Sandwüste entlang, die Unfruchtbarkeit nutzloser Wiederholungen, sie versetzt Moränen mit dem Wind...
Nur eine Oase, das Schreiben, widersteht. Ein anderer Sender, der weibliche Körper, gebärt Kinder, das Geschlecht der Frau wird ruhiggestellt, seine Lust wird eingedämmt wie eine kostbare Flüssigkeit, und seine Unruhe ist für den Garten des Kalifen bestimmt... Das Verlangen beginnt, unseren Flüssen zu gleichen, die keine sichtbare Quelle und meist auch keine Mündung haben, die in einer Stunde austrocknen, die plötzlich die wirbelnde Gewalt eines Hochwassers haben, für die Dauer einer Dämmerung oder manchmal eines einzigen Tages.
Die Frauen vom Schreiben auszuschließen, das war der verhängnisvolle Schritt. Wie damals, als es darum ging, den Ehefrauen des Propheten den Mund zu verbieten, gleichzeitig aber seine Tagessprüche zu sammeln; die Politik drängte Aichadas-Leben an den Rand und erklärte sie plump zur Anführerin der gefährlichen Feindinnen. Frauen und Schrift wurden von Anfang an als Rivalinnen einander gegenüber gestellt, als Mitehefrauen gezähmt... Man bedient sich der heiligen Schrift, um den Körper der Frau einzusperren, um ihr bei der Regelung der Erbfolge ihr Erbe als Tochter oder Witwe streitig zu machen, obwohl es ihr von der Schrift garantiert wurde.
Und während der Islam empfiehlt, „bis nach China zu gehen, um die Weisheit zu suchen“, entrüstet sich jeder über das Mädchen, das mit zwölf Jahren die Schwelle überschreitet und zum nächsten öffentlichen Platz geht.
Wenn aber Frau und Schrift allen Hindernissen zum Trotz zusammenfinden, wenn eine Analphabetin sich ihres eigenen Körpers bedient, um zu schreiben - und worüber wird sie wohl schreiben, wenn nicht über ihre erste Atemnot oder den Gipfel des Erstickens -, dann befindet man, daß die Sprache nichts ist als Geschrei, lächerlich oder gar krankhafte Tragik, auf jeden Fall unschicklich und dann wohl ein unvermeidliches Übel...
Das Masche fällt, das Netz löst sich auf, der Schraubstock lockert sich... Wenn man zum Schreiben gefunden hat, mit der Feder, dem Kugelschreiber oder der Kamera, dann kann einen nur noch die erneute Erkenntnis voranbringen, daß jede Frau ihre eigene Handschrift hat, die des lachenden Körpers, der in Suren, die sich ihm ohne Erzengel und außerhalb der Grotte offenbaren, so etwas wie eine Wiederkehr des Propheten entdeckt!
Indem das Bild vom Körper der Frau eliminiert wird (wobei der Vernichtungswille sich gegen den Körper selbst richtet, nicht nur gegen seine Vorstellung), zerstört dieser Angriff sogar das Fundament der wankelmütigen Erinnerung.
Als Zeichnung, als handgezeichnete Form bleibt nur die heilige Inschrift, die Schrift als Form, reiner Beweis Gottes... Kalligraphie als Askese.
Und da die Schrift zum Beweis des Unbennbaren, des Unsichtbaren wird, geraten die geschriebene Sprache und der Körper, der auf dem Papier oder im Raum Gestalt annimmt, zu Gegensätzen.
Der arabische Mann sichert sich nur die Schrift als Trost und Hilfe, weil sein Auge masochistisch ist.
„Lies!“ befiehlt der Engel Gabriel in der Höhle. „Aber ich kann nicht!“ murmelt da wohl der alte Schäfer. „Lies!“ wiederholt Gabriel, der nicht gesagt hat: „Hör zu“... So erweist sich die Schrift als göttlich, erste Freiheit, Essenz; sie wird gleichzeitig Gestalt und Gesang; da erst setzt die Stimme ein, moduliert, skandiert, sucht sich, bevor sie sich erhebt...
Später, viel später als die Überlieferer der offenbarten Schrift sich allmählich in zu großer Zahl auf den Schlachtfeldern gegenseitig töteten (die Flügelkämpfe hinterließen einen Trümmerhaufen von Hütern der Erinnerung, die wenigen, die übrigblieben, bewirkten neue Spaltungen...), befahl der Kalif Othman: „Die Schrift werde geschrieben!“
Es sei erlaubt, von einem anderen Ursprung zu träumen! Der Körper der Frau, jeder Frau, ist Träger einer Wahrheit, der schattigen und dunklen Wahrheit einer nur halb erleuchteten Verkündigung... Wann, durch welches Wunder, durch welche plötzliche Wiederauferstehung kommt die Erlösung für diesen Körper, der in immer größere Gefahr gerät, mehr und mehr dem Ersticken ausgesetzt ist, immer kälterer Sprachlosigkeit anheimfällt? Damit dieser weibliche Körper, all diese Körper ihre Wahrheit erstrahlen lassen. Auf andere Weise als durch Fortpflanzung, als durch das Blut der Niederkunft und der Defloration! Damit die Körper explodieren, schreien oder singen, damit die so erklingende Musik aufgeschrieben, umgeschrieben, zum Manuskript und zum alleinigen Objekt der Hingabe werde! Und die Muezzine hoch oben auf den Minaretten wären dann Frauen!
Vorabdruck aus „Hanin“, hrsg. von Regine Keil, erscheint im Oktober 1989 im Verlag „Das Wunderhorn“, Übersetzung: Christiane Weber.
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