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Nordrhein-Westfalen soll für NS-Opfer zahlen

NRW-Grüne fordern Stiftung für vergessene Opfer des Nazi-Regimes / NRW soll 300 Millionen für Zwangssteriliserte, „Euthanasie„-Geschädigte, Zwangsarbeiter, Homosexuelle und als „Asoziale“ Verfolgte zur Verfügung stellen / Odysse der Opfer  ■  Aus Dortmund Irene Dänzer

Verfolgte des Nazi-Regimes in Nordrhein-Westfalen, die bislang noch keinen Pfennig Entschädigung gesehen haben, sollen, wenn es nach den Grünen geht, künftig Geld aus einer Landesstiftung bekommen. 300 Millionen Mark soll das Land für Zwangssterilisierte, „Euthanasie„-Geschädigte, ehemalige Zwangsarbeiter, Homosexuelle und Menschen, die als „Asoziale“ verfolgt wurden, bereitstellen. Die Stiftung wäre für etwa 25.000 Verfolgte in NRW zuständig, schätzte Herrmann Müller vom Verband der Verfolgten des Nazi -Regimes.

Stiftungen für Nazi-Opfer gibt es in Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Die SPD-Landesregierung von Nordrhein-Westfalen weigerte sich bislang eine solche Stiftung einzurichten, da sie Entschädigungszahlungen für Sache der Bundesregierung hält. „Das Land ist aber genauso Rechtsnachfolger des NS-Staates wie der Bund“, kommentierte Grünen-Sprecher Siegfried Martsch, „und wenn es sich aus der Verantwortung stiehlt, macht es sich an der zweiten Verfolgung der NS-Opfer schuldig.“ Er plädierte dafür, daß sich an der Stiftung auch die Firmen beteiligen, die von Zwangsarbeitern profitierten, wie Krupp.

Von Erfahrungen der „Zweiten Verfolgung“ berichtete auf der Pressekonferenz Klara Nowak, Vorsitzende des Bundes der Zwangssterilisierten und „Euthanasie„-Geschädigten, erst vor zwei Jahren gegründet wurde. „Es war schwer, die Betroffenen zu finden, denn viele schämen sich heute noch, sterilisiert zu sein, sie können heute noch nicht über ihr Leiden sprechen“, sagte Frau Nowak. Die Menschen, deren Leben der NS-Wahn für „lebensunwert“ oder „ungeeignet für die Fortpflanzung“ erachtete, konnten nach dem Krieg keine Anträge auf sogenannte Wiedergutmachung stellen, da das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 sie nicht zu den Verfolgten rechnete. Seit 1988 ist ihre rechtliche Situation zwar besser und die Bundesregierung hat auch großzügig 300 Millionen Mark für ihre „Entschädigung“ zu Verfügung gestellt - aber die Betroffenen sehen deshalb noch lange kein Geld: Aus der Verfolgung allein leitet sich noch kein Anspruch an den deutschen Rechtsstaat ab. Antragsteller müssen weniger als 1.750 Mark im Monat zu Verfügung haben oder krank sein.

„Ein Facharzt muß uns bescheinigen, daß 40 Prozent unseres jetzigen Gesundheitsschadens auf die Verfolgung zurückzuführen ist. Für uns ist es schwer, ein solches Gutachten beizubringen, denn es waren Ärzte, die im Dritten Reich unser Leben zerstörten. Wir haben zu diesem Berufsstand kein Vertrauen mehr“, sagte Klara Nowak und forderte, daß Zwangssterilisierte ihr Leiden nicht beweisen müssen, sondern als zu 25 Prozent geschädigt anerkannt werden und eine Rente unabhängig von ihrem Einkommen oder dem der PartnerIn bekommen.

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