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Bruch und Ausbruch

■ Was Kirchenkonferenz, Therapie und der Auszug der Kinder Ostdeutschlands gemein haben

Als Gott Abraham rief, da war der schon 75 und wohnte fest an seinem Ort. Abraham folgte dem Ruf, weil er nicht anders konnte, machte sich auf einen unbekannten, gefährlichen Weg, auf dem alles neu und gewagt war, wo er sogar zweimal seine Frau „verscherbelte“. Auf Gottes Ruf hören, das bedeutet Bruch, Aufbruch, Abenteuer, Gefährdung, aber alles in der bedingungslosen Sicherheit, daß Gott eine(n) persönlich gerufen hat und persönlich meint.

Missions- und Wanderpastor Vollmer predigt vor den TeilnehmerInnen der 12. Bremer Glaubenskonferenz. Bevor sich deren TeilnehmerInnen am Nachmittag auf sechs Arbeitsgruppen verteilen, darunter einer über „Israel, unsere Liebe?“ und eine über feministische Theologie, halten sie Gottesdienst in der großen überfüllten Ansgariikirche.

Was das heißt, Gottes Ruf folgen, erklärt der Pastor lebendig, persönlich, routiniert, sprachlich unpastoral und jetztzeitig. Seit vierzig Jahren folgt er dem Ruf des Herrn, und doch sei ihm das jeden Morgen wieder neu. Aber der Ruf des Herrn, macht er deutlich, ist nicht „innen“, er kommt von einem persönlichen Gott, „von außen“. Dieser persönliche Gott, der sich auch in einem sehr persönlichen, liebevollen Umgang der Gemeindemitglieder untereinander ausdrückt, unterscheidet die pietismusnahe kirchliche Richtung, die sich auf der Glaubenskonferenz versammelte, zu der sich neben Mitgliedern de organisierenden Epiphaniasgemeinde auch PfingstlerInnen und BaptistInnen bekennen, von anderen.

Hieße der persönliche Gott nicht Gott, er wäre exakt das, was andere Leute bei ihren Geliebten suchen und oder im Enttäuschungsfalle bei ihren TherapeutInnen. Gott freut sich nämlich persönlich und ewig über jeden, der oder die zu ihm kommt, mit all ihrem Jammer, ihrem Scheitern, ihren nicht realisierbaren Ansprüchen, dem, was aus dem Stehen und Gehen in Geschichte kommt und was einfach nie nur Erfolg und Glück ist. Er verläßt die zu ihm kommen nie, und er garantiert ein neues, ein aufregendes Leben mit auf und ab (z.B. mit zweimal die Frau verscherbeln, auch wenn mann schon 75 ist.) Genau wie ein paar Serien guter workshops der humanistischen Therapien, nur daß die einen immer irgendwann doch allein zurücklassen. Es gibt noch eine andere Ähnlichkeit zu dieser hinreißenden Figur von „Bruch und Aufbruch“, und Pastor Vollmer ist das auch aufgefallen. Es ist der Auszug der Zehntausende aus dem Land der gescheiterten Utopie des Westens, dem Sozialismus des Ostens. Der Auszug derer, die alles zurücklassen und sich auf den Weg machen, um ein neues Leben zu beginnen. Zu klären, welcher Stimme sie dabei folgen, hat Pastor Vollmer, Gottseidank, nicht versucht.

Uta Stolle

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