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Swinging Metropolis

■ 47. Bunte Banden

Alles schon mal dagewesen. Der erste „Halbstarke“ hieß nicht Horst Buchholz, sondern irgendwie ganz anders. Die öffentliche Premiere des Begriffes verdanken wir Clemens Schultz, Pastor auf St. Pauli, der 1912 in Leipzig die Broschüre „Naturgeschichte des Halbstarken“ herausgab. Für den löblich liberalen Gottesmann ist der UrOpa des Rockers ein respektloser, ordnungsfremder jung-erwachsener Arbeiter über 17 Jahre. Er steckt in der dritten Phase einer Entwicklung vom noch nicht 14jährigen Straßenjungen, dem „Butje“, über den „Brit“, der sich jeglicher Autorität in Schule und Ausbildung entzieht.

Konsequenter als heute, da doch eher der Hang zum (Pseudo -)Einzelkämpfertum angesagt scheint, besteht in jenen Jahren ein starker Drang zur Cliquenbildung, zu mehr oder minder kriminellem Vereinsmeiern mit Gruppennamen, Abzeichen und allem Pipapo; wie wir sehen werden, nicht nur unter den „verkommenen“ jungen Menschen. (Von Schultz definiert als „falsch kommen“: „Der Verkommene ist falsch in das Leben hineingekommen.“) So nennt sich etwa eine GassenjungenGang aus Frankfurt „Bund der Junggesellen“, was immerhin unverbindlicher klingt als „Panzerknacker GmbH“. „Hassu ma 'ne Reichsmaak?“ fragt der märkische Punk und trägt sie wohin wohl? - in den - alles schon mal dagewesen Daddelbunker um die Ecke. „Von der Spielwut in Berlin“ steht anno 1919 über dem Foto dieses Spielothek-Vorläufers. Der Mindesteinsatz beträgt zehn Pfennig, und das Plakat an der Wand, welches Butjes und Brits den Zutritt untersagt, schert offensichtlich keinen.

Parallel zu lumpenproletarischen Erscheinungsformen existiert verklärte Wandervögelei, verankert zum größten Teil im proletarischen Miljöh, deren Ableger und Seitenlienien sich mit abenteuerlichen Namen schmücken. „Tatarenblut“ und „Modderkrebs“ nennen sich die Rotten, „Schrecken des Westens“, „Ostpiraten“ oder ganz heimaterdig „Edelhirsch“ und „Tippeltreu“. Der Rituale sind viele, Uniformen sowieso, und zunehmende Politisierung in der Weimarer Zeit prägt auch das mannigfaltige Liedgut: „Grün -Weiß-Grün ist unsere Farbe, / grün-weiß-grün ist unser Stolz. / Wo wir Latscher seh'n, gibt's Keile, / wo wir Nazis seh'n, Kleinholz.“ Die eine oder andere Clique driftet auch nach rechts; die wird dann nicht mehr mit „Wild frei!“ herzlich begrüßt, sondern mit „Zicke-zacke!“ herzhaft verkloppt.

Nicht sonderlich quotengeregelt findet der Burschen pubertäre Unsicherheit ebenfalls gesungenen Ausdruck, genauer gesagt, ist Vatterns Lied von alters her: „Deine Zähne sind vom Zahnarzt, / deine Locken vom Frisör, / deine blauen Augen schlag‘ ich dir selber, / mein liebes Tippelweib, was willste mehr.“ Rabiat ist in, wie es schon Gottfried Benn 1913 vorgedichtet hatte. Da wollt‘ er mal „nach Alaska geh'n“, mit Robben- und Bärenfressern den vitalen Mann zu feiern, „der den Weibern manchmal was reinstößt“. Was Deutsches! In Alaska!

1926 erscheint ein Amerika-Handbuch, das unter anderem folgende Stichwörter verzeichnet: „Camping“, „Hot dogs“, „Jazz-Band“, „Reklame“, „Revue“, „Shopping“, „Kaugummi“. Soweit dies. Aber auch das: „Erpresser“, „Irrenanstalten“, „Opium“, „Raubbau“, „Trunksucht“ und weitere typisch amerikanische Eigen- und Errungenschaften. (Ob da einer aus Karl Ede von Schnitzlers Sippschaft redigiert hat?) Mit all der erstrebenswerten Dekadenz tritt nun auch unübersehbar die großbürgerliche Brut in Erscheinung, und man glaube nicht, daß ab 1933 Schluß war mit dem Flirt übern Ozean. Hans Dieter Schäfer macht folgende Beobachtung: „Wir neigen dazu, im USA-Kult einen Protest gegen reaktionäre deutsche Tradition und - nach 1933 - gegen das nationalsozialistische System zu sehen. In gewisser Weise ist das richtig, aber zugleich auch irreführend, denn mit Autostraßenbau und Radio, amerikanisch-deutscher Wirtschaftsverflechtung sowie Tourismuswerbung in den USA nahm das Reich selbst erheblich am Amerikanismus teil. Freundlich wurden die zahlreichen Besucher aus den USA als 'Lieblingsausländer‘ behandelt, und nicht wenige Nationalsozialisten empfanden das eigene Volk als das 'amerikanischste (...) Europas‘.“

Eine Clique ist als wohl bekannteste übriggeblieben: Die Edelweißpiraten, die sich zur regelrechten Widerstandsgruppe mauserten. Während des Faschismus bekommen ihre Fahrten- und Wanderlieder also besondere Qualität. Die letzte Strophe von „Hohe Tannen“ klingt hier so: „Höre Rübezahl, was wir dir sagen, / in unserer Heimat, da sind wir nicht mehr frei, / drum schwing die Keule wie in alten Zeiten / und schlag den Nazis die Schädel entzwei.“

Norbert Tefelski

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