Bonner Lob für Gorbatschows Rede

■ DDR-Staatschef Honecker kam schlecht weg / Der Aussiedlerstrom reißt unterdessen nicht ab / DDR-Führung soll mit Opposition reden / Botschaftsflüchtlinge in Warschau und Prag

Bonn (ap) - Die Bundesregierung geht davon aus, daß die DDR nach dem 40. Jahrestag ihrer Gründung Ausreiseerleichterungen in Kraft setzt. „Ich erwarte, daß in der DDR nach den Jubelfeiern künftig Ausreisegenehmigungen erheblich großzügiger als bisher erteilt werden“, erklärte die Ministerin für innerdeutsche Beziehungen Dorothee Wilms. In ähnlicher Weise äußerten sich auch Kanzleramtsminister Seiters und Außenminister Genscher.

Wegen der Zwischenfälle am 40. Jahrestag in der DDR hat die Bundesregierung an die Ostberliner Führung appelliert, „friedlichen Demonstrationen für mehr staatsbürgerliche Freiheiten nicht mit Polizeikräften, sondern mit Verständnis und Gesprächsbereitschaft zu begegnen“. Positiv war das Bonner Echo auf die Rede des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow, weil er indirekt zu Reformen ermutigt hätte. Kritisiert wurde aber die Ansprache des SED -Generalsekretärs Erich Honecker. Dieser hätte keine neuen Perspektiven eröffnet. Auch SPD-Chef Vogel nannte Honeckers Rede eine Enttäuschung. Abzuwarten bleibe nun, ob die DDR -Führung nach den Feiern die Kraft zu Veränderungen finde. Der SPD-Abgeordnete Bahr warnte davor, mit Wirtschaftshilfe an die DDR jetzt den Eindruck zu erwecken, als wenn die Bundesrepublik Reformen zu kaufen suche. Die Bonner Botschaft in Prag war auch gestern abgeriegelt. DDR-Bürger wurden abgewiesen. In der Botschaft hielten sich noch 20 bis 30 ausreisewillige DDR-Bürger auf. Der Strom von DDR -Flüchtlingen über Ungarn ist wieder stark angestiegen. Der BGS zählte bis Sonntag morgen 1.846 DDR-Ausreißer. In Warschau hatten sich bis gestern wieder rund 300 DDR -Flüchtlinge in die Botschaft begeben.

In der DDR mehren sich Stimmen Prominenter, die den Ausreisestrom aus der DDR nicht nur dem Klassenfeind anlasten. Der Chefredakteur der Ostberliner Wochenzeitung 'Sonntag‘ fragte: „Was haben wir falsch gemacht?“ Es könne nicht nur Blendwerk sein, „das die Leute verführt, wegführt von uns“.