: Freiheit für Ratten und Mäuse
■ Hans-Werner Henzes "English Cat" im Hebbeltheater
Dieses Stück ist durch und durch britisch. Die Story eine schwarze Kriminalkomödie. Die Typen scharf geschnittene Karikaturen: eben genau jene besondere Splitting-Image -Mixtur aus skurriler Übertreibung und kurz angebundenem Realismus, die den Nagel auf den Kopf trifft. Schnelle Szenenfolge, die Dramaturgie perfekt ausbalanciert, die Dialoge heruntergekühlt auf das Mindestmaß. Jede Sentenz hat es in sich. Kein Gramm zu viel auf den Rippen. Und der Witz ist so trocken, daß es staubt. Auch die Musik ist von englischer Eleganz, sie sitzt wie angegossen.
Hans Werner Henze hat sich mit seiner Kammeroper Die englische Katze ein Kabinettstückchen geleistet. Das Libretto dazu ließ er sich von seinem Freund Edward Bond schreiben, mit dem er schon einmal zusammengearbeitet hatte, und zwar bei der gigantischen moralischen Musikation We come to the river. Und die Übersetzung bei der Uraufführung der Katze 1983 in Schwetzingen war perfekt: statt schwerem Geschütz wurde diesmal leichte Ware aufgefahren, eine Buffa wie sie im Buche steht. Mit konventioneller Nummernfolge und all den festgeschriebenen Formeln, die in der Geschichte der Komischen Oper lieb und wert geworden sind: Rezitativ und Arie, Duett und Cavatina, Ländler, Marsch, Walzer, Rondo, großes Finale und Zwischenaktsmusik. Jeden Ton, jede Geste hat man so oder ähnlich schon einmal gehört und gesehen.
Und es hagelt Zitate - nicht etwa wörtliche, die platt auf der Hand liegen, sondern versteckte, vertrackte, verzwickte: die Schwurszene ist nicht von Meyerbeer, die Preghiera nicht von Donizetti, der Walzer nicht von dem einen oder dem anderen, der Tango nicht von Weill, der Running-Gag nicht von Offenbach, der letzte Auftritt der gefallenen Heldin nicht von Berg. Alle Allusionen sind original verhenzelt. Wie brünstig und vergeblich auch immer die Liebesschwüre des hohen Paares - es klingt nie nach Tristan und Isolde. Und was da am Ende fix und fertig verpackt für den tragischen Tod im Sack liegt und singt, das ist nicht Rigolettos arme Gilda, sondern eben nur eine englische Katze.
Sie heißt Minette und kommt vom Lande. Tritt in den Stand der Ehe mit dem vertrottelten alten Lord Puff, der ist ein Kater von Adel und Prinzipien. Verliebt sich auf dem Dach in einen schmucken Streuner, der natürlich Tom heißt. Wird von der bigotten Stadtkatzengesellschaft des Ehebruchs überführt, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Und auch für den wackeren Tom gibt es kein Happy-End. Er weiß sich zwar schnell zu trösten mit Minettes Schwester und entpuppt sich obendrein als der verlorene Sohn einer vermöglichen Adelssippe. Doch als er seine Erbschaft antreten will, wird er heimtückisch ermordet. Auch diese Tierfabel ist bestens bekannt. Balzac hat sie aufgeschrieben und Grandville alias Jean Isidor Gerad dazu wundervolle Illustrationen geliefert. Die Geschichte von der englischen Katze gehört zu den Bildern aus dem Staats- und Familienleben der Thiere, die 1842 als nur lässig verschlüsselte Parabel auf die marode Gesellschaft des seconde empire Furore gemacht hat.
„Ah, das wird oft gesagt“, singt Minette in ihrem letzten Duett mit dem Liebsten als sie dem Sterbenden als Geist erscheint - sie schon gänzlich und er beinahe verewigt. Und gleich noch einmal: „Auch das wird oft gesagt.“ Es ist das Stilprinzip dieser Oper und ihre Botschaft zugleich: daß alles schon einmal dagewesen sei und daß keine andere Realität verfügbar ist als die der Konvention. Vorläufig. Englische Katze wäre keine Henze-Oper, wenn es nicht auch noch jene andere Botschaft gäbe, die zweimal demonstrativ von der Rampe ins Publikum verkündet wird: Weg mit der Konvention der herrschenden Katzenklasse, die da Wohltätigkeit heuchelt und hinterrücks meuchelt - Freiheit für die Ratten und Mäuse. Und für die guten Katzen.
Die Aufführung der Englischen Katze, die seit Sonntag im Hebbeltheater gastiert, wurde auf der „Sommerakademie Hans-Werner Henze“ in Gütersloh erarbeitet: unter Anleitung des Meisters persönlich, der gemeinsam mit der Sopranistin Elisabeth Söderström und dem Regisseur Brian Michaels einen Workshop für den „künstlerischen Nachwuchs“ veranstaltet hat. Es singen und spielen also „junge Musiker aus Großbritannien, Schweden, Frankreich, der Schweiz und der Bundesrepublik“, sechs „Nachwuchsregisseure“ haben inszeniert. Nach solcher Vorankündigung möchte man gut gemeintes Schülertheater erwarten - und wieder ist die Überraschung perfekt: das Orchester, ein Ensemble von glänzenden Solisten (die es auch braucht bei der ausgefeilten Instrumentation des Stücks). Der Dirigent, Markus Stenz, souverän und die Sänger allesamt Vollprofis: Sally Herrison als Minette singt nicht nur die schönsten Koloraturen, sie spielt auch hinreißend die junge Naive, Reinhard Reaville im Schlafrock des alten Lord Puff ist nicht nur das helle Tenorvergnügen, er hat auch jede Pointe im kleinen Finger - und die Übrigen stehen ihm kaum nach.
Das Einheitsbühnenbild mit den schrägen Perspektiven und den zarten Pastellfarben paßt perfekt auf die Fabel, aber es läßt auch Luft genug für kleine Eskapaden: Da wird zum Beispiel der Dachfirst, auf dem in rosa Mondschein die junge Liebe erwacht ist, später zur Endstation Themsebrücke, wo man Minette im Sack ersäuft. Oder das Orchester mischt sich aus dem Graben heraus ein, als die scheinheilige Gesellschaft oben auf der Bühne so in Rage gerät, daß die Musik ein paar Takte hängen bleibt und nicht mehr weitergehen kann. Ein kugelrundes Vergnügen - alle waren hochzufrieden. Überflüssig sind nur die Kaisergeburtstagstexte im Programmheft, die das Stück und die Welt und die Wertschätzung Henzes wieder einmal wortreich erläutern. Aber das muß man sich ja nicht kaufen.
Elisabeth Eleonore Bauer
The English Cat von Hans-Werner Henze in englischer Sprache bis Samstag täglich 20 Uhr im Hebbeltheater.
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