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Der Vogel lebt von seiner Feder

■ Salim Jay, Autor aus dem Maghreb, schildert seine Erlebnisse auf der Frankfurter Buchmesse

Sardanapal im Frack kam sich vor wie Savonarola angesichts der Milliarden, die in den Garnituren steckten. Die pantagruelischen Buffets verbreiteten das ewige Lob der Frankfurter Feinkosthändler. Bücher waren die Quelle dieses Geldes; nun, zumindest rechteckige Parallelepipeden.

Buchen, Books, Kitab, aber auch Libri, großer Svevo, wir sind hier mittendrin, zwischen all den Ratgebern vom Stil Nie mehr Rauchen leichtgemacht. Denkt ihr bei Frankfurt noch immer an Bücherverbrennung?

Libri will sagen, daß diese Krankheit, Bücher zu lesen oder zu schreiben, nur die bedroht, die mit Libertas liiert sind, die freien Menschen; doch der freie Mann findet sich nicht zwischen den Linien der Lettern; vor allen Dingen findet er sich weit entfernt von den Küstern des Hotels Intercontinental, weit weg von den obszönen, köstlichen Buffets, die ein Lümmel oder ein paar überzählige Lakaien mit Tieren dekoriert hatten, welche in den Butterberg der Europäischen Gemeinschaft geschnitzt waren.

Möge er freudig in alle Furchen säen, fern von Larousse oder Duden, er, der frei Mann, ein von Büchern und Menschen befreiter Traum! Doch was tut er? Er kann sich nicht beruhigen, daß man in einem neuen Wörterbuch Analphabetismus mit F schreibt.

Alle zehn Jahre begibt sich unser Mann unter eine Decke mit der bundesdeutschen Großindustrie. Er hat bereits die Werke von Volkswagen und Mercedes-Benz besichtigt, Druckereien, die leistungsfähiger waren als der armselige Homer, Museen, die man besser im Griff hatte als das Schicksal der Menschen. Ein wiederkehrender Zufall im Leben des Vogelmenschen: er wird nach Deutschland eingeladen.

Vollgestopft mit festen Vorstellungen kommt der Vogel in das Land Luthers. Natürlich hat er noch einmal seinen Hölderlin in der Aubier-Montaigne-Ausgabe gelesen. Doch das kann er gar nicht anbringen; es kann sich nicht aus der Umschlingung der Stimmbänder lösen, die dunklen Flecken der deutschen Sprache stellen sich ihm in der Kehle quer, nain, nischt, nischts, kain, nie, nimmer, nirgends, niemand, gar nischts, es stimmt nischt, er schweigt also bis zum nächsten Salon du Livre, wo er dann die Stände der Germanen im Sturm mit einem Manuskript erobern wird, das nur aus brillant verdrehten Titeln aus der Bibliographie des Großdeutschen Reiches besteht.

Noch immer genauso verwirrt in diesem deutschen Herbst wie die ärmsten überlebenden Naziopfer, wie sie der Schwede Dagerman in seiner Reportage beschrieben hat, betrachtet der Vogel die äußeren Zeichen des bundesrepublikanischen Reichtums. Irgendein cooler Kerl meint: „Kell kolosal kaos de marks!“ und kein Schwein auf dem Londoner Kirchhof, wo Karl so lange gehätschelt wird, bis er sich zu Torf verkrümelt hat.

„Na, gefällt dir deine erste Frankfurter Messe?“ Massin, der berühmte Seemann auf dem Meer des Buchdrucks, der die Hunderttausend Milliarden Gedichte sicher eingefahren hatte, nahm mich beim Ärmel. „Alles nichts gegen Frankfurt in den sechziger Jahren, als das Phänomen Pornographie mit Macht aufkam. Schwänze, Titten und Ärsche überall. Es war gesetzlich verboten, dem Wähler und seinen Kindern die Körperhaare zu zeigen. In Frankreich haben wir denen immer noch ein Gesetz voraus, das die Privatsphäre von Otto Normalverbraucher schützt, wenn er auf Marianne herumrutscht. Hier sah man damals schon Photos von feuchten Dingern und schönen gespreizten Beinen. Ein Feuerwerk! Und nur zehn Verlage haben das ganz allein gemacht; und Zeitschriften gab's, die konnte man lesen, wenn man nur fünf schmutzige Wörter in der Sprache Thatchers kannte.“

„Thatcher?“

„Maggie.“

Kaum war Maggie unter uns, da grüßten wir Therese de Saint -Phalle, die beigeordnete Generaldirektorin von Stock, die mich ganz allein dadurch entzückte, daß sie einst mit Valery Giscard d'Estaing Gaillarde und Menuett getanzt hatte und dennoch nicht Kulturministerin geworden ist. Ich frage einen der Bonzen von Rowohlt, ob nicht zufällig irgendeine Verlagschefin ihre Unschuld zwischen den Beinen von Schmidt verloren habe. Er antwortet mir: „Wenn euer Giscard unserem Schmidt, der jetzt Zeitungsherausgeber geworden ist, von seinen Rallyes erzählt hat, dann konnte unser Ex-Kanzler eurem Ex-Präsidenten seine Dankbarkeit erweisen, indem er ihm erzählte, wie es ihm gelungen ist, die Naziuniform zu tragen, obwohl er doch verheimlichen mußte, daß seine Mutter Jüdin war. Oder auch sein Vater. Was weiß ich.“

Wir ließen Glanz und Elend der Glücklichen dieser Welt Revue passieren. Dieser Typ mußte in diesen verlorenen Augenblicken so etwas wie ein Nachrichtensammler für Forbes Magazine sein.

Es war Oktober; im ganzen Pariser Verlagswesen hatte man bereits allen editors ins Ohr geflüstert, daß Tahar Ben Jelloun den Goncourt bekommen würde. Es war bereits seit März bekannt. Und Herr R. warf mir zu: „Vielleicht wissen Sie nicht, wie hoch das persönliche Vermögen des marokkanischen Herrschers ist: 1,3 Milliarden Dollar. Genug, um jedem Käufer der Nacht der Unschuld einen Einband aus echtem Leder mit Feingoldeinlagen zu spendieren.“

Ich hörte diskret zu. Der Reichtum der Großen ist freien Männern keine Versuchung.

Wenn die Veranstalter noch immer nicht daran gedacht haben, bei dem Lieferanten, der den rauschenden Cocktailempfang von Bertelsmann beschickt, marokkanische Köche zu bestellen, so nur deswegen, weil sie längst den Käse zum Herrscher des Festes gewählt haben. Bei einem einzigen Riesenempfang habe ich mich siebenunddreißig Mal bedient, das Waschbecken in meinem Bad, Zimmer 307, Hotel Primus, 6000 Frankfurt/Main, Große Rittergasse 19-21, Telephon 069/633020/29 kann das leider bestätigen.

Ich betrachte das Messe-Gesellschaftsspiel so, wie Bookmaker es entworfen und gezeichnet hat, der den Verlagen schlüsselfertige Manuskripte liefert, aus denen sie die druckfähigen auswählen, in dem sie nur noch ihr Kreuzchen draufsetzen.

Besonders das Feld Nr. 30 hatte mich angesprochen: „Sie wurden beobachtet, wie sie sich beim Bertelsmann-Cocktail bis zum Platzen vollgefressen haben. Es wurde daraus geschlossen, daß sie danach nicht einmal eine Einladung zum Abendessen haben. Zurück auf Feld 25.“

Übersetzung: Stephan Egghart

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