piwik no script img

KAUFRAUSCHGIFT

 ■  Kommt die „Neue Bescheidenheit“?

Wenn eine Studie der Marktforschungsgruppe „Grey“ recht behält, geht es mit dem Konsumfetischismus des Yuppie -Zeitalters zu Ende. Als Trend der achtziger Jahre hatten die Marktforscher den „Ultra-Consumer“ entdeckt, jene meist kinderlosen Kaufrauschgiftsüchtigen, die in den Vereinigten Staaten unter dem Kürzel „Dinks“ (double income no kids) firmieren und den Hals einfach nicht voll kriegen können.

Doch unter dieser auch in Europa weit verbreiteten Dämlack -Spezies scheint sich jetzt die große Katerstimmung breitzumachen: „Bekommen die gehobenen Kosumenten in den neunziger Jahren ein Problem mit dem Sinn des Lebens?“ fragt eine Studie der „Grey„-Tochter „Market Horizons“ und glaubt eine Antwort gefunden zu haben: „Ein neues Bewußtsein setzt sich durch. In einer Zeit, wo sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg für immer mehr Bundesbürger greifbar ist, entdecken Trendsetter neue Ausdrucksformen der Bescheidenheit bei ihren Konsumansprüchen. Es lassen sich Anzeichen für ein Zurückschwingen der Zeit erkennen. Nachdem die achtziger Jahre durch Ultra-Konsum gekennzeichnet waren, erwarten wir für das nächste Jahrzehnt eine Phase der Besinnung auf das Wesentliche.“ Dieser Trend müßte die Leiter und Lenker der Wirtschaft ins Mark erschüttern, und so beeilen sich die Spürhunde hinzuzufügen, daß die „Neue Bescheidenheit“ nichts mit Askese und Konsumverzicht zu tun habe, sondern „mit der bewußten Beschränkung auf das Wesentliche, auf den Kern der Dinge“. Man gebe sich bescheiden, sei es aber nicht, und diese selbstgefällige Art der Bescheidenheit drücke sich dadurch aus, daß ein Pullover für 200 Mark gekauft werde, statt zwei für je 100 Mark.

Ist der neue Trend, den „Market Horizon“ weniger durch die klassischen Methoden der Marktanalyse als durch „intuitive Forschung“ entdeckt haben will, also nur der alt-dumpfe Hedonismus in neuer, öko-verbrämter Verpackung? Offensichtlich ja, denn es macht natürlich keinen Unterschied, ob ich nun einen CD-Player für 1.000 oder zwei für 500 kaufe. Im Gegenteil, die Profitrate für den Verkäufer ist bei einem teuren Gerät in der Regel sogar höher als bei den beiden billigen.

Die Zeiten für die Konsumgüterhersteller werden also keineswegs finster, die „Neue Bescheidenheit“ brauche, so versichern die Marktforscher, keinem Angst einzujagen, wenn er sich rechtzeitig durch Produktgestaltung, Verpackung und Werbung darauf einstellt. Das wird nicht schwerfallen, schließlich ist es der fest verankerten Supermarkt-Ideologie schon längst gelungen, zwei sich diametral widersprechende Tätigkeiten, nämlich Geld auszugeben oder es aufzuheben, überaus innig zu vereinen, mit der Parole: kaufen und sparen. Und so wird es den Werbestrategen auch gelingen, noch den überflüssigsten Mist, etwa das PS-gezügelte Dritt -Auto (natürlich mit Kat), an den Mann zu bringen, nach dem Motto: „Bescheidenheit ist, den dicken Daimler öfter mal in der Garage zu lassen.“

Und wenn statt derlei Pseudo-Zurückhaltung tatsächlich ein allgemeiner Hang zum Konsumverzicht sich breitmachte? Das wäre die wirksamste (und gleichzeitig gewaltfreieste) Revolution, die vorstellbar ist. Denn mit Verzicht auf materiellen Konsum ginge logischerweise der Verzicht auf materielle Leistung einher - wo das Heil nicht mehr im Kaufrausch gesucht wird, können Arbeitswut und Groschengeilheit der Gelassenheit weichen. Daß es so weit kommt und die Bundesrepublik vom „Exportweltmeister“ zum planetarischen Verzichts-Champion wird, ist allerdings nicht zu erwarten. Dafür sitzen die Saurier-Mentalität - „Wenn sich was bewegt, hau drauf und friß es“ - und der Wahn ewigen Wachstums zu tief drin in den Hirnen. Vor der Leere, die sich erst mal auftut, wenn man einfach nur acht Stunden dasitzt und nichts tut, rennt man lieber weg.

Mathias Bröckers

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen