: Gewerkschaftsfreie Zone in Oberfranken
Frühkapitalistische Umtriebe bei der Firma „Rehau“: Mitgliedschaft in der IG Chemie reicht als Kündigungsgrund aus / Firmenchef Helmut Wagner: Wir sind stolz darauf, daß unsere Betriebsangehörigen ihre Beitragsgelder sparen ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) - „Die Weltfirma “'Rehau‘ AG + Co“ hat den Namen der Stadt zum Synonym für Qualität und technischen Fortschritt gemacht.“ Die Stadtväter der 10.000 Einwohner zählenden „Industriestadt im Grünen mit Herz und Kultur“ in Oberfranken sind stolz auf die kunststoffverarbeitende Fabrik, die allein in der Bundesrepublik in zwölf Zweigwerken insgesamt 6.000 Beschäftigte hat. Mit 1.700 Arbeitsplätzen in Rehau hat das Familienunternehmen die im strukturschwachen Grenzland gelegene Kleinstadt in der Hand. Vier „Rehau„-Manager sitzen für die CSU im Stadtrat. Kein Wunder, daß sich hier schon lange kein Widerstand mehr gegen die Besonderheit dieser Firma regt: Sie rühmt sich, ein absolut gewerkschaftsfreier Betrieb zu sein - und auch bleiben zu wollen. Folge: Derzeit befaßt sich das Arbeitsgericht in Nürnberg mit der Kündigung einer „Rehau„ -Beschäftigten wegen ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft IG Chemie, Papier, Keramik.
Seit mehr als 25 Jahren bemüht sich die Gewerkschaft darum, in der 1949 gegründeten Firma, die inzwischen Filialen in 21 Ländern besitzt, einen Betriebsrat zu installieren. Bisher vergeblich. Gerhard Obst (57), zuständiger Gewerkschaftssekretär in Selb, hat nach jahrelangem Kampf inzwischen resigniert. Er hat mehrere Aktionen gestartet, sogar Presse und Fernsehen mobilisiert. Doch den Widerstand der Firmenleitung, die sich mit allen Mitteln einer Betriebsratswahl zur Wehr setzt, konnte er nicht brechen. So entließ die Firmenleitung 1966 im Zweigwerk Feuchtwangen den kompletten Wahlvorstand. Sechs Jahre später entsandte die Geschäftsleitung Spione zu Gewerkschaftsveranstaltungen.
Der Grieche Georgios Orfanoudakis verschwand zwei Tage nach seiner Beitrittserklärung zur IG Chemie spurlos. Wie sich später herausstellte, hatte ihn „Rehau“ nicht nur gefeuert, sondern ihn auch gleich in seine Heimat ausgeflogen. „Sie ließen mich zwei Papiere unterschreiben, brachten meine Sachen aus meinem Zimmer in einen Wagen und fuhren mich nach Frankfurt“ schrieb Orfanoudakis aus Kreta. Als er zwei Jahre später das ihm zustehende Fracht- und Urlaubsgeld einklagen wollte, zahlte die Firma anstandslos - um Aufsehen zu vermeiden.
Damals mischte sich der örtliche CSU-Bundestagsabgeordnete und heutige Verkehrsminister Jürgen Warnke in die Affäre ein. Unter Berufung auf das Betriebsverfassungsgesetz, dem er ein Jahr zuvor im Bundestag die Zustimmung verweigert hatte, hielt er bei der „Rehau“, einen Betriebsrat „einfach für nötig“. Als „Rehau“ begann, Firmenjustitiar Friedrich Burger als Gegenkandidaten aufzubauen, griff Warnke zu für die CSU ungewöhnlichen Worten. „Die CSU duldet nicht, daß frühkapitalistisch eingestellte Unternehmensleitungen mit Geld, Personal und Wirtschaftsmacht ihre Firmeninteressen der Politik aufzwingen wollen.“ „Rehau“ konterte in großformatigen Zeitungsinseraten. Die Betriebsangehörigen seien mündig genug, ihre Rechte selbst wahrzunehmen. „Wir sind stolz darauf, daß sie ihre Freiheit bewahren und Beitragsgelder gespart haben.“
„Rehau“ habe ein „sehr ausgeprägtes Streben nach Unabhängigkeit“, bezeichnet Firmensprecher Wolfgang Narr die gewerkschaftsfeindliche Haltung des Unternehmens, das auch nicht im Arbeitgeberverband organisiert ist. Das Individuum, nicht das Kollektiv stehe bei „Rehau“ im Mittelpunkt. Die Firma hat daraus eine eigene Philosophie gemacht - das „Rehau-Personalkonzept“. Demnach ist „Rehau“ „wie ein Organismus, angewiesen auf den Geist, die Initiative und den Fleiß seiner Leitenden und seiner Mitarbeiter“. Unter dem Motto „Selbstbestimmung leicht gemacht“ will „Rehau“ „sachfremde Einflüsse von außen unterbinden“. Bei turnusmäßigen Sprechtagen mit Mitgliedern der Geschäftsleitung können die „Rehauer“ - wie die Betriebszeitung 'Rehau-Gazette‘ die Beschäftigten nennt ihre Beschwerden und Anliegen vorbringen. Niemand sei gezwungen, bei „Rehau“ zu arbeiten. „Wer die Vorteile des gewerkschaftlichen Systems mit dem Ziel des Gewerkschaftsstaates vorzieht, der möge sich dort auch seine Arbeit suchen“, empfiehlt Firmenchef und -inhaber Helmut Wagner.
Für Gerhard Obst von der IG Chemie kommt es nicht von ungefähr, daß sich „Rehau“ vorwiegend in strukturschwachen Gebieten (Brake/Unterweser, Oberviechtach, Rehau, Feuchtwangen) ansiedelt. “'Rehau‘ nutzt seine Monopolstellung als Arbeitgeber aus.“ Dort könne dann Druck auf die Beschäftigten ausgeübt werden.
Die „Rehau„-Familie ist immer dann in Gefahr, wenn sich mindestens ein Mitarbeiter der Gewerkschaft anschließt. Erst dann hat die Gewerkschaft ein gesetzlich zugesichertes Zugangsrecht. Im Juli erzwang die Gewerkschaft für den Zweigbetrieb II in Feuchtwangen das Zutrittsrecht. Der Versuch „Rehaus“, die IG Chemie zur Herausgabe der Mitgliedsnamen zu zwingen, schlug fehl. In Feuchtwangen, aber auch in Rehau sind inzwischen eine Reihe von „Rehauern“ bei der Gewerkschaft organisiert. „Die müssen jedoch im Untergrund arbeiten“, betont Obst. Wer sich offen zur Gewerkschaft bekennt, wird entlassen, wie z.B. die 26jährige Kontrolleurin Monika P. aus Feuchtwangen.
„Für die Sicherheit der Klägerin einerseits und der Gewährleistung des Betriebsfriedens und der Betriebsruhe andererseits gab es keine andere Alternative, als zum eigenen Schutz der Klägerin diese zu entlassen“, schrieb „Rehau“ in der Kündigung vom 12. Juni. Monika P. hatte sich geweigert, eine Resolution zu unterzeichnen. Titel: „Die Gewerkschaft soll uns endlich in Ruhe lassen.“ Zwei Tage später gingen im Betrieb anonyme Anrufe ein. „Dieses Schwein gefährdet meinen Arbeitsplatz, wenn ich die erwische“, oder: „Lösen Sie das Problem P., bevor wir es lösen, wir lassen unsere Arbeitsplätze nicht kaputt machen.“
Für die Betroffene und ihren gewerkschaftlichen Rechtsbeistand Klaus Drese liegt es auf der Hand, daß die Anrufe von der Firmenleitung gesteuert wurden, um einen Kündigungsgrund zu schaffen. „Den Anrufen war überwiegend eine große Sorge um ihre Arbeitsplätze gemeinsam, aber auch eine Entschlossenheit“, führt die Firmenleitung jetzt gegenüber dem Arbeitsgericht an. Und weiter: Die Gewerkschaft habe „eine Art Pogromstimmung“ geschaffen und gefährde die Arbeitsplätze. Um dieser Argumentation Nachdruck zu verleihen, hat „Rehau“ inzwischen angekündigt, Produktionen zu verlagern und den Ausbau des Werkes Feuchtwangen zu stoppen. „Die Sorgen der Mitarbeiter sind daher verständlich“, heißt es scheinheilig in dem Schriftsatz. Mit ihrem Bekenntnis zur Gewerkschaft habe Monika P. „den Betriebsfrieden gestört“.
Allein in Feuchtwangen ist dies seit Mitte 1987 bereits der fünfte Fall, in dem Gewerkschaftern nur wegen ihrer Mitgliedschaft gekündigt worden ist. „Die arbeiten mit Denunziation, Bespitzelung, setzen Detektive ein und schaffen einen ungeheuren psychischen Druck“, erzählen ehemalige Beschäftigte. „Zuckerbrot und Peitsche“ nennen sie das Konzept der Firma. „Zuckerbrot“ seien dabei Zulagen, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten und ein sogenannter „Dispo -Urlaub“, der in kleinen Tagesdosen hereingearbeitet wird. „Peitsche“ dagegen die Kündigung im Falle einer Organisierung, die Kürzung des Weihnachtsgeldes bei Krankheit sowie die den Zulagen zugrundeliegenden jährlichnen Beurteilungen. Dort wird neben dem fachlichen „auch das menschliche und charakterliche Verhalten des Mitarbeiters berücksichtigt“ (Personalkonzept).
Während die Firma weltweit mit Investitionen klotzt und sich eines Jahresumsatzes von 940 Millionen Mark im Inland rühmt, existiert der Arbeitsplatz von Monika P. in Feuchtwangen offiziell nicht mehr. „Im übrigen ist die Kündigung auch aus betriebsinternen Gründen begründet“, schreibt die Firma im letzten Schriftsatz. Monika P. will durch alle Instanzen gehen.
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