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„Du bist der Ton“

■ Brechendvolle Nada-Brahma-Soiree mit Joachim-Ernst Berendt und Michael Vetter

Wenn Joachim-Ernst Berendt Recht hat, dann ist die Zeitung das falsche Medium. „Wer Ohren hat, höre“, zitiert Berendt den Expressionisten Wolff: Und „wer einen Mund hat, höre ... und schweige.„

350 Zuhörer schauten und hörten am Montagabend in der Waldorf-Schule drei Stunden konzentriert zu, als Berendt zusammen mit Michael Vetter das „Tao des Hörens“ lehrte. „Der Himmel ist

Musik“, zitierte Berendt Bettina von Arnim und las aus den Upanishaden „Werde ganz eins mit dem Ton... Werde der Ton

-bis jede Zelle in Dir weiß: Du bist der Ton OM.„ Nach amerikanischer Warenhaus-Art wilderte Berendt in der Geistesgeschichte Europas und der fernöstlichen Religiosität, um sich Zitate für seine Mission zu holen. Spannend wurde es, als er eigene Formulierungen

vortrug: „Leben durchs Ohr“, aus seinem Buch „Das Dritte Ohr“. Da hatte der Musik-Kritiker das Konzert beschrieben, das Bäume, Wind, Insekten, Wasser miteinander aufführen, wenn mensch in völliger Zivilisations-Ruhe im Gras liegt und die Augen schließt: „Schilf. Raschelnd. Klatschend. Klappend. Klappernd. Klagend. Klackend. Knarrend. Raspelnd. In allem der A-Laut. .. Der Wind wird stärker, andere Vokale kommen hinzu. Jetzt seufzt das Schilf. Und ächzt. Und stöhnt... Der Takt des Wassers vergrößert sich...“

Und dann spielte Michael Vetter dieses Erlebnis mit seiner unerschöpflichen Stimme nach: die Libellen, den Wind, das Krächzen der Bäume, das Schnalzen des Wassers, Zischen, Räuspern - ein Kosmos von Tonfarben des menschlichen Stimm -Organs und Höhepunkt des Abends.

Vetter demonstrierte, daß das Oberton-Singen mit der zweiten Stimme kein Trick ist, sondern Anlage der Natur; zusammen mit Ulla Litten, im mal dramatischem, mal zärtlichem „Dialog“, zeigte er die lautmalende Funktion der Sprache, die kommuniziert, ohne ein Wort zu verwenden, einfach durch die Variation und den Reichtum der Tonfälle. Er führte vor, wie ganz wenige Töne ganz unterschiedliche Stimmungslagen vermitteln können

an der japanischen Koto-Harfe, der Flöte, an der Tambura und dem großen Gong, den er mit verschiedenen Hilfsmitteln und den Händen schlug, kratzte, strich, tupfte, klopfte. Da war es sehr wichtig, vorne zu sitzen und die Augen zu öffnen: Faszinierend zu sehen, wie Vetter das Material zum Klingen bringt, wie er verschiedenste Tonschattierungen den scheinbar so einfachen Instrumenten abgewinnt.

Die Worte von Berendt erklärten davon leider wenig, waren von der Art: „Das höchste Ziel der Musik besteht darin, das Wesen des Universums zu enthüllen, das sie widerspiegelt. So ist es möglich, durch die Musik Gott zu erreichen.“ Auch die quasi-religiöse Zeremonie auf der Bühne, ganz in schwarzem Stoff Vetter, ganz oberpriesterlich in Weiß Berendt, war aufdringlich. Zur Vollendung der Yin -Yang-Symmetrie waren zwei Frauen dabei: Ulla Littan (in Schwarz) durfte viermal mit-singen, und als Neben-Sprecherin war Jadranka Mariajan in Weiß auf der Bühne.

Berendt hatte wohl den Verdacht, daß die unzähligen Weisheiten nicht überzeugend genug waren und setzte nach zwei Stunden der dreistündigen Veranstaltung eins drauf: „Wer in dem, was wir hier tun, die Verkündung einer heilen Welt sieht, hat nichts verstanden.“

Klaus Wolschner

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