: Nobelpreis für Keynesianer
T. Haavelmo aus Norwegen geehrt / Wird neuer Zeitgeist eingeläutet? Wohl kaum / Bewährte Klassiker gefragt ■ Von Ulli Kulke
Nicht nur in den Köpfen der Ost-Ökonomen spielen sich derzeit revolutionäre Dinge ab. Auch im Olymp der westlichen Wirtschaftswissenschaft, dem Komitee zur Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises scheinen sich Palastrevolten abgespielt zu haben. Nicht nur, daß man mit der Verleihung an den Norweger Trygve Haavelmo, von der goldenen Regel abgewichen ist, vor allem US-Wisenschaftler mit dem Preis zu bedienen (von 27 Preisträgern kamen immerhin 15 aus dem Lande der „vom Tellerwäscher zum Millionär„-Mentalität).
Zum ersten Mal seit vielen Jahren wurde damit auch wieder ein Wirtschaftswissenschaftler geehrt, der nicht mit Parolen wie „Staat hau ab aus der Wirtschaft!“ Furore gemacht hat. Im Gegenteil: Haavelmo hat in seinem Haavelmo-Theorem nachgewiesen, daß erhöhte Staatsausgaben, so sie denn einem ausgeglichenen Etat entspringen, anregend auf die wirtschaftliche Tätigkeit eines Landes wirken. In seinem erweiterten Ansatz hat er sogar darauf hingewiesen, daß die Konjunkturlokomotive besonders dann abgeht, wenn die Staatsausgaben nicht in Investitionen, sondern in Dienste wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt werden. Der Grund: Lohnempfänger frönten seiner Erkenntnis nach einer überdurchschnittlichen „Konsumneigung“, geben mit anderen Worten einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens schlicht aus.
Haavelmo ist daher also nicht der „neoklassischen“ oder „monetarististischen“ Schule der „Chicago-Boys“, die für staatliche Abstinenz plädieren, zuzurechen, sondern eher der anderen der beiden großen Lehrmeinungen, der „keynesianischen“, benannt nach dem Briten John Maynard Keynes. Ob damit allerdings ein neuer wirtschaftswissenschaftlicher Zeitgeist eingeläutet wird, wie dies weiland mit der Verleihung an den Obermonetaristen Milton Friedman (1976) geschah, als der Monetarismus noch eher belächelt wurde, ist eher zu bezweifeln. Zum einen wurde Haavelmo nicht wegen seiner keynesianistischen Haltung ausgesucht, sondern wegen seiner wissenschaftstheoretischen Abhandlungen darüber, wie man am besten Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Zum zweiten macht die Ehrentafel der Wirtschaftsnobelpreisträger eher den Eindruck, als würde hier eine Liste abgehakt, in der jetzt diejenigen zum Zuge kommen, die sich vor 20 bis 30 Jahren hinten anstellen mußten. Nahezu ausnahmslos wurden in den vergangenen Jahren Männer geehrt, die bereits zu den Klassikern zählten, als heute renommierte Professoren ihr Grundstudium aufnahmen (Haavelmo ist heute 78 Jahre alt). Ökonomen, die in den vergangenen Jahren neue Dimensionen geöffnet und sich in Synthesen von Ökonomie und Ökologie versucht haben oder sich um neue Gedanken über östlichen Volkswirtschaften machen, sind offenbar ohne Chance.
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