: Belgiens BeamtInnen randalieren
■ Lüttich ist bankrott / 900 Bediensteten droht Entlassung / Erboste Staatsdiener stürmen Sparkasse
Berlin (taz) - Mehrere hundert aufgebrachte BeamtInnen, die zum Teil Masken und Feuerwehrhelme trugen, verwüsteten am Dienstag nachmittag im Stadtzentrum von Lüttich ein Parteibüro der wallonischen Christsozialen (PSC) und eine Zweigstelle der Sparkasse. Eine Journalistin wurde bei den Auseinandersetzungen verletzt. Die Bediensteten der ostbelgischen Stadt traten am 1.Oktober in den Streik, weil die Gehaltszahlungen ausblieben.
Lüttich ist schlicht bankrott. Die „glühende Stadt“, wie sie wegen ihrer Hochöfen genannt wird, steht mit mindestens 1,5 Milliarden Mark im Minus. Anfang Oktober war die von der Stahlkrise gebeutelte Gemeinde nicht einmal mehr in der Lage, die Gehälter für die BeamtInnen und Angestellten zu zahlen. Die Sparkasse (Credit Communal) weigerte sich, mit einem Überbrückungskredit auszuhelfen. Statt dessen versuchten es die Banker mit einem eigenen Politikversuch: Sie wollen Lüttich erst dann wieder Geld leihen, wenn der mehrheitlich von Sozialisten (PS) und Christsozialen (PSC) besetzte Stadtrat einen drakonischen Sparplan verabschiedet.
Dieser Plan sieht die Entlassung von 900 BeamtInnen - einem Viertel der Beamtenschaft - und 400 Angestellten sowie weitere kommunale Einsparungen vor. Die Massenentlassungen sind Teil eines Sparplans, der auch von der Regionalregierung Walloniens in Lüttich gefordert wird. Bereits zweimal ist der Plan an einem Teil der sozialistischen Fraktion sowie dem Widerstand von Liberalen und Grünen im Stadtrat gescheitert. Die Christsozialen wollen den Sparplan dennoch weiterverfolgen. Die wallonischen Gewerkschaften kündigten an, sie würden die BeamtInnen mit Aktionen in anderen Städten unterstützen.
Bereits seit Kriegsende leidet Lüttich unter einer tiefen Strukturkrise, in der sich soziale Konflikte mehrfach in heftigen Demonstrationen entluden. 1960 zerstörten Streikende den ganzen Hauptbahnhof. 1985 türmten sich im Stadtzentrum nach einem Streik der Müllabfuhr große Berge von Unrat; die Feuerwehr lieferte sich damals mit ihren Löschfahrzeugen Wassergefechte mit Wasserwerfern der Gendarmerie.
dora
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