: Rollenspiele
■ Über Pfarrer Linke, sein Buch „Niemand kann zwei Herren dienen“ und die DDR
Wenn es um Andersdenkende in der DDR geht, ist man hierzulande bei der Hand mit den griffigen Formulierungen von den Dissidenten, der Oppsition im Lande und dem Sozialismus mit menschlichem Antlitz.
Die Geschichte des ehemaligen DDR-Pfarrers Dietmar Linke ist auf den ersten Blick so ein Fall.
Als einer der Initiatoren der DDR-Friedenswerkstatt und der Aktion „Fasten für den Frieden“ hatte er öffentliches Aufsehen erregt. Bei dem Versuch, in Ost-Berlin eine Menschenkette zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Botschaft zu bilden, wird er, zusammen mit anderen am 1.September 1983 verhaftet und am selben Tag wieder freigelassen.
Schikaniert und bespitzelt, gemaßregelt und bedroht, stellt Dietmar Linke im November 1983 schließlich einen Ausreiseantrag. Zwei Tage vor Heiligabend kommt er mit seiner Familie in West-Berlin an.
Eine Story also, wie geschaffen für die Medien. Aber bei genauerem Hinsehen liest es sich doch etwas anders.
Über seine Jahre als Pfarrer in der DDR hat Diemar Linke ein Buch geschrieben: Niemand kann zwei Herren dienen hat er es genannt und so bereits im Titel das Spannungsfeld umrissen, in das sich kirchliche Arbeit in der DDR zwischen seelsorgerischem Auftrag und staatlicher Rollenzuteilung gestellt sieht. Das Buch ist der Versuch einer Bestandsaufnahme über die geleistete Arbeit in der DDR. Es ist aber zugleich auch eine Zustandsbeschreibung des Alltags im anderen deutschen Staat. Zugegeben, aus einer nicht alltäglichen Perspektive, der des Pfarrers nämlich, aber dadurch besonders aufschlußreich, weil es sich entlang der Nahtstellen zwischen Individuum und Gesellschaft bewegt, jener beiden Pole also, von denen es in der DDR heißt, daß sich die Interessen beider in übereinstimmung befänden.
Das Buch macht deutlich, was es in der täglichen Arbeit eines Pfarrers bedeutet, die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit in der DDR beim Wort zu nehmen und mit Leben zu erfüllen.
„Ich wollte“, schreibt Dietmar Linke im Vorwort, „als Theologe nicht ein Amt 'bekleiden‘, eine Stelle 'besetzen‘. Ich wollte nicht Funktionär einer Institution, Platzhalter oder Propagandist sein. Es ging mir darum, in dieser, den Menschen total vereinnahmenden Gesellschaft eine 'Spielwiese‘, eine 'Oase‘, eine 'Tankstelle‘ zu schaffebn, wo vielleicht noch möglich ist, was in der Gesellschaft so nicht mehr erfahrbar ist: das eigenständige Denken und Entscheiden, das Gespräch, in dem ich nicht erst fragen muß, ob ich das, was ich sage, auch aussprechen darf oder nicht.“
Was Pfarrer Linke im einzelnen zu berichten und zu dokumentieren weiß, ist ganz und gar unspektakulär und überhaupt nicht mediengerecht. Mit den plausiblen Schablonen vom Widerstand und der Geheimbündelei ist es nur schwer oder gar nicht zu fassen. Was da beschrieben wird, ist nicht der Versuch, eine Gesellschaftsordnung zu unterwandern und Keimzellen der Aufmüpfigkeit zu organisieren, es ist der Alltag, der hier nachdrücklich ins Bild gerückt wird. Jener zermürbende Wechseltanz zwischen Hoffnung und Trauer, zwischen Beharrlichkeit und Resignation.
Das Feld der seelsorgerischen Aktivitäten, die beschrieben werden, ist weit gesteckt. Es reicht von der mühevollen Beschaffung von Baumaterialien bis zu Dichterlesungen in der Kirche.
Pfarrer sein in der DDR, das heißt nicht nur Trost und Zuspruch parat zu halten für jene, die „auch außerhalb der Sprechzeiten“ an die Tür des Pfarrhauses klopfen, es bedeutet oft auch bis an die physischen und psychischen Leistungsgrenzen hin, Defizite bewußt zu machen und auszugleichen, die im Mahlwerk des Alltags immer wieder neu entstehen und das Leben der Menschen, ihr tägliches Miteinander beeinflussen und erschweren.
Pfarrer sein in der DDR heißt auch Zähigkeit zu beweisen im Umgang mit staatlichen Stellen. Was da in den Amtsstuben an Kleinkrieg, an offenen und verdeckten Scharmützeln über die Jahre hin von beiden Seiten geführt worden ist, hat Pfarrer Linke aufgeschrieben, mit Protokollen oder durch offizielle Schriftwechsel belegt. Wieviel Kraft, Zeit und Nerven dabei verschlissen werden, ist hierzulande kaum vorstellbar.
Was es bedeutet, immer und immer wieder anzurennen gegen die Gummiparagraphen einer rabulistischen Rechtspraxis, in der neben den offiziellen Vorschriften stets auch interne Dienstanweisungen in den Schubladen liegen und manchmal auch nur die Angst eines Bürgermeisters oder eines Kreisvorsitzenden vor möglichen Konsequenzen die Entscheidungen beeinflussen, das alles ist in diesem Buch nachzulesen. es ist ein authentisches Zeugnis, ein Dokument.
Nicht nur die Querelen hält es in einprägsamen Szenen und Bildern fest. Auch wieviel Freundschaft und Hoffnung, Vertrauen und menschliche Nähe in diesem Umfeld möglich und lebendig sind, läßt es uns miterleben.
Die DDR ist nicht nur das Land der staatlichen Einschüchterungsrituale, es ist auch ein Land der Freundschaften und Geselligkeiten, des verständnisvollen Umgangs miteinander.
Aber nicht nur darum geht es in dem Buch Niemand kann zwei Herren dienen. Über die unmittelbar kirchlichen Belange hinaus gelingt dem Autor die Beschreibung eines neuralgischen Punktes des DDR-Alltags, der den Kern des gesellschaftlichen Zusammenspiels berührt.
Dieser neuralgische Punkt ist die Rollenverteilung im Staat. Jedem ist eine Rolle zugewiesen. Ganz gleich, ob er als Arbeiter in einem Betrieb beschäftigt ist, als Direktor einer Schule vorsteht, oder als Pfarrer einer Gemeinde kirchliche Arbeit leistet. An jede Rolle sind bestimmte Spielregeln geknüpft.
Diese Spielregeln halten die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen zusammen und machen sie regierbar. Sie sind nirgends juristisch fixiert. Dafür gibt es keine Anweisungen und Vorschriften. Dennoch kennt sie jeder „gelernte DDR-Bürger“, wie es im selbstironischen DDR -Slang heißt. Er weiß um den Spielraum, den sie ihm einräumen und die Grenzlinien, die ihn markieren. Man kann in der DDR sehr bequem leben, sozial behütet und unbehelligt, wenn man sich an die Spielregeln hält. Erst wer sie verletzt, sie in Frage zu stellen versucht und das Spiel als solches entlarvt, bekommt Schwierigkeiten.
Für einen Pfarrer bedeuten diese Spielregeln u.a., sich um die unmittelbar kirchlichen Belange zu kümmern, um die Gottesdienste, die Kindstaufen und Beerdigungen. In politische Regionen sollte er sich besser nicht verirren. Dafür sind staatliche Einrichtungen zuständig.
Ein hoher DDR-Funktionär hat dieses Prinzip Künstlern gegenüber einmal auf die schöne Formel gebracht: Macht ihr eure Kunst. Für die Politik sind wir zuständig.
Das Unverständnis, das Pfarrer Linke bei einigen seiner Aktionen auch von Gemeindemitgliedern deutlich zu spüren bekam, gründet sich auf dieses Prinzip.
Wer Schriftsteller, wie den im Westen lebenden Jurek Becker oder den damals in die Schußlinie geratenen Stefan Heym in die Kirche zu Lesungen einlädt, muß sich nicht wundern, wenn er Schwierigkeiten bekommt. Man weiß doch, wozu so etwas führt. Ist es Naivität, wenn man es trotzdem tut? Oder will man einfach nur provozieren?
“...es gibt Situationen“, schreibt Pfarrer Linke 1982 in einem Brief an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, „wo ich als einzelner mich getrieben weiß zum Reden, zum Handeln, zum Reagieren, wo ich mich nicht im Spinnenetz des Taktierend und der Diplomatie verschanzen kann. Es gibt Situationen, wo mein Reden und mein Handeln nicht identisch ist mit dem Reden und Handeln der Institution Kirche, weil der einzelne allein das Wagnis eingehen muß. Ich sehe dieses letztlich als Resultat der Begegnung mit dem Evangelium und somit im Evangelium selbst begründet...“
Das Buch des Pfarrers Linke hat in Ost und West, in kirchlichen Institutionen und staatlichen Amtsstuben gleichermaßen für Unruhe gesorgt, hat Gegendarstellungen mit hämischen Untertönen provoziert, Verteidiger wie Widersacher auf den Plan gerufen. Es hat auf seine Weise längst sicher geglaubte Erkenntnisse darüber, wie das Leben in der DDR nun wirklich sei, in Zweifel gestellt.
Uwe Römhild
Dietmar Linke: „Niemand kann zwei Heren dienen. Als Pfarrer in der DDR“, Hoffmann + Campe, 28 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen