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Die größte Muskelparty der DDR

In der DDR heißt Body-Building „Kulturistik“ und wird langsam salonfähig - nur: wie im Westen soll es nicht sein / Ansonsten hat Kraftmeierei Tradition und ihren festen Platz im öffentlichen Leben  ■  Aus Ost-Berlin Herr Thömmes

Gewinnt man in der Kraftsport-Kulturistik mit mächtigen Muskelbergen? „Nicht in den sozialistischen Ländern“, urteilte Peter Butze, mit der Entwicklung und Verbreitung des Kraftsports und seinen Formen gut vertraut. „Mit Abarten in kapitalistischen Ländern, die auf Show-Effekte zielen und der Vermarktung dienen, identifizieren wir uns nicht. Bei uns steht die völlig proportionale Ausbildung des Muskelreliefs des Körpers im Vordergrund.„

(Kraftproben - Starke Männer einst und jetzt; Sportverlag Berlin 1985

Wenn Martin Uhlmann nur die Fäuste ballt, wachsen ihm auf der Brust zwei gewaltige Hügel. Reckt er gar die Arme nach vorn und drückt sie zusammen, dann schwillt sein ganzer Körper ins Groteske: Fleischwülste wölben sich im Nacken bis hoch an die Ohren; Adern und Muskelstränge treten unter der Haut hervor, als sei der ganze Mensch aus Bündeln und Knäueln von Elektrokabeln modelliert.

Zehn Jahre lang hat Uhlmann, 27, unzählige Tonnen von Eisen bewegt und diszipliniert gelebt, um zu einem der besten Muskelmänner der DDR zu werden. Und im vergangenen Jahr hat er dann - Kategorie bis 90 Kilogramm - „alles gewonnen, wo ich angetreten bin“.

Statistisch gesehen ist der Gasgeräte- und Kühlschrankmonteur nur einer von vielen in seinem Land. Auf 14.000 wird die Zahl der organisierten Kraftsportler geschätzt, dazu kommen noch einmal 12.000 Gewichtheber. Die Kraftmeierei ist im realsozialistischen Deutschland fester Bestandteil des öffentlichen Lebens. Jahr für Jahr werden, von den Pimpfen angefangen, beim Bankdrücken, Kniebeugen und Klimmziehen überall die Stärksten gesucht, gefeiert und mit einem Titel versehen: „Stärkster Pionier“, „Stärkster Lehrling“, „Stärkster Mann der Nationalen Volksarmee„; neuerdings kennen sogar die Geistesarbeiter ihren „Stärksten Studenten“.

Die Tradition reicht lange zurück. Nach dem Krieg wurden Gewichte geworfen, Steine gestoßen, menschliche Pyramiden gebaut, und am 24. August 1961 hatte die DDR zum ersten Mal ihren stärksten Genossen: Helmut Wiech hob ein 7,5 kg schweres Rundgewicht 10.052mal ohne Unterbrechung.

Mit dem, was Martin Uhlmann macht, hat all das wenig zu tun. Ihm geht es nicht um meßbare Leistung nach Gramm und Zentimeter. Er will nur eine gute Figur abgeben. Die Wettkampfbestimmungen verlangen dafür „harmonische, symetrische und proportionale Körperentwicklung, die Gesamtentwicklung der einzelnen Muskelgruppen und ihre Definition“. Zudem die „optimale Ausschöpfung der gegebenen Anlagen“ und „Gesamtausstrahlung unter Berücksichtigung von Muskulosität und Masse“.

Muskeln machen schlapp

Um in Bestform zu kommen, trainiert das Mitglied der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Empor HO Berlin täglich nach der Arbeit zwei Stunden mit Hanteln und Kraftmaschinen. Für den Wettkampf reicht das alleine nicht. Zwei bis drei Monate hält Uhlmann vorher strenge Diät, beschränkt sich hauptsächlich auf Eiweiß: Broiler, Fisch, Eier. Am Ende, wenn dann alles Fett abgebaut ist und sich Muskelstrang für Muskelstrang wunderbar definieren, also sichtbar machen läßt, ist der Kraftprotz mit seinen zwei Zentnern vom Hungern so schlapp, „daß ich keine vier Treppen mehr hochkomme“.

Ellen Tetschke geht es da besser. Sie hat ihren Beruf aufgegeben und kann sich nun - wie ein Profi - den ganzen Tag der Muskelbildung widmen. Mit Erfolg. Zweimal war die 36jährige von der BSG Tiefbau Berlin schon Meisterin der DDR, bei internationalen Turnieren hat sie sogar - anders als die Männer - gegenüber der Konkurrenz aus dem Westen den Bizeps vorn.

Die Muskeln läßt sie jedoch nicht nur dann spielen, wenn es um Titel geht. Bei manchem Kombinat, das nach der Plansollerfüllung zum gemeinsamen „Betriebsvergnügen“ schreitet, steht sie zur Unterhaltung auf der Bühne. Auch Auftritte in diversen Shows werden von einer Agentur vermittelt, und bei den Meisterschaft der Gewichtheber werden Tetschke und andere Kraftsportlerinnen schon mal ins Programm gehoben, „um Publikum anzulocken“. Geld gibt es dabei offiziell für die Hausfrau Tetschke nirgends, aber sie kommt schon zurecht.

Doch allzuviel Spaß hatten Uhlmann, Tetschke und Sportsfreunde bislang mit den Sport-Oberen der DDR nicht trotz der sonstigen Freude an der Kraft im Land. Die Disziplin, die sie betreiben, gilt als anrüchig: Die Wiege des Body-Building steht in den USA, und die Vermarktung der „Mister Universum“ und „Mister Olympia“ paßt nicht ins ideologische Bild des Amateursports. Um ja keine Nähe aufkommen zu lassen wird der Anglizismus vermieden, Body -Building Marke DDR heißt folgerichtig „Kulturistik“.

Die Hantelbewegung konnte das nicht eindämmen. Vereine, die Trainingsmöglichkeiten bieten können, sind von Interessenten überlaufen. Vielfach wird, um Abhilfe zu schaffen, selbst Hand gelegt: In Neubrandenburg beispielsweise wurde in einem alten Verwaltungsgebäude durch 4.200 freiwillige Arbeitsstunden ein Trainingsfläche von 140 m2 hergerichtet „jeder Quadratzentimeter Fußboden wird von Auslegware bedeckt. Sie strahlt Wärme und Gemütlichkeit aus“ ('muskel -magazin‘). Auch in Martin Uhlmanns Verein sind die Trimmgeräte „von uns selbst zusammengeschweißt“. Die Modelle wurden aus westlichen Magazinen kopiert.

Konnte sich die Gemeinde der Body-Builder (Motto: „Reich mir die Hantel, mein Leben“) ihre Eisen zum Stemmen noch selber schmieden, so ist sie doch von einer Dachorganisation abhängig. Die Kraftsport-Kulturistik ist dem Gewichtheber -Verband der DDR angeschlossen, und dort verbannte man die Ungeliebten bei ihren Veranstaltungen bisher in kleine Turnhallen. Langsam jedoch erlebt die Kulturistik ihr Coming -out.

Erstmals wurde in diesem Jahr eigens für die Narzißten unter den Kraftsportlern eine extra Zeitschrift aufgelegt, wenn auch nur mit einer Ausgabe: das 'muskel-magazin‘. Und als am vergangenen Sonntag in Berlin das „4. Internationale -Kraftsport-Kulturistik-Pokal-Turnier“ über die Bühne ging, war der renommierteste Ort gerade recht: die Werner -Seelenbinder-Halle.

Der Zuspruch war enorm. 4.500 Besucher verfolgten, wie um die Trophäe „Berliner Bär“ die Muskeln gebläht wurden. „70 Kraftsportkulturisten aus Polen, der CSSR, Ungarn, Bulgarien, DDR und der UdSSR“, konnte sich die 'Berliner Zeitung‘ freuen, trafen sich zur „größten Muskelparty, die es je in unserem Lande gab“. Auf eine fünf mal sechs Meter große Leinwand wurde „durch den Einsatz modernster Videotechnik“ (Jürgen Madaj, Bezirksfachausschuß Kraftsport) auch für die in der letzten Reihe jeder Zentimeter praller Muskelmasse gut sichtbar gemacht.

Von Fanfaren und einigen Topfpflanzen auf der Bühne abgesehen war ansonsten eher der sportliche Charakter in den Mittelpunkt gerückt - Show soll es dann doch nicht sein. Zwar wurden die kräftigen Männer und Frauen ganz undeutsch zum „Posing“ und „Posedown“ gebeten und die Küren allesamt zu englischer Popmusik vorgetragen, doch der Hallensprecher mühte sich unter roten und blauen Strahlern erfolgreich um Sachlichkeit: „Bitte dem Bühnenhintergrund zuwenden, es folgt die Bewertung des Rückens„; „Bitte die Sportfreundin Sukupova, sich für das Stechen um den Gesamtsieg bereitzuhalten.“

Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Im Aufwärmraum pumpten sich die Nachfahren des Herkules gutgelaunt durch letzte Übungen mit Gummibändern noch einmal kräftig Blut in die Zellen und verschafften sich mit Bräunungscreme in minutenschnelle das Aussehen von vier Wochen Schwarzmeerküste; in der Halle begleitete das Publikum dann anerkennend quellende Muskulosität - „Doppelbizeps“, „Lattisimus Vorderansicht“, „seitliche Brustmuskeln, danke lockern“ - mit schrillen Pfiffen.

Ob allerdings der Zug der Kulturistiker vorerst sehr viel weiter geht bezweifeln selbst die Aktiven. Sportarten, bei denen keine olympischen Medaillen zu holen sind, werden in der DDR finanziell nicht gefördert. Und einem weiteren Muskelwachstum steht die leidige tägliche Arbeit im Wege. Da träumen dann doch manche davon, den „Berliner Bär“ mit einem anderen Titel zu vertauschen.

Wenn es denn ginge, sagt Martin Uhlmann, würde er „schon gern rumlaufen wie Arnold Schwarzenegger“. Auch dem sozialistischen Kulturistiker ist eben das große Vorbild der TERMINATOR aus Hollywood.

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