: „Blutrote Fahnen“ über Schwalmstadt
In der hessischen Provinz wurde am Mittwoch die größte Verkaufs- und Infomesse der Volksrepublik China im westlichen Ausland eröffnet / Proteste von Amnesty und der Gesellschaft für bedrohte Völker / Schwalmstädter eher gelangweilt ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Schwalmstadt (taz) - Wer dieser Tage ahnungslos das herbe Schwälmer Land im Herzen der Republik bereist, wird sich in der heimlichen Hauptstadt der durch „aale Worscht“ und Trachten bekannt gewordenen Region Hessens verwundert die Augen reiben: am Ortseingang von Schwalmstadt flattern die Banner der Volksrepublik China steif im Wind. In den Straßen des Fachwerkstädtchens treten sich die Chinesinnen und Chinesen auf die Füße. Die - laut Eigenwerbung - bislang größte Wirtschafts-, Kultur- und Technologieausstellung der VR China im westlichen Ausland hat am Mittwoch in Schwalmstadt-Ziegenhain ihre mit Drachenköpfen verzierten Pforten geöffnet.
Die Landesfarbe des Reichs der Mitte habe sich von der Farbe der Hoffnung in ein blutiges Rot gewandelt, und dafür trage die chinesische „Volksbefreiungsarmee“ die Verantwortung, die in der Nacht zum 4.Juni in Peking friedliche DemonstrantInnen niedermetzeln ließ, protestierte die Gesellschaft für bedrohte Völker in Briefen gegen die Messe sowohl an den Bürgermeister von Schwalmstadt als auch an den Mitveranstalter der Exposition „China '89“. „Wir finden es unerträglich und skandalös, daß mit der Ausstellung direkt oder indirekt, gewollt oder ungewollt, die politischen Kräfte hofiert und als Geschäftspartner anerkannt werden, die für das Massaker in Peking, die anhaltende Repression sowie die völkerrechtswidrige Besetzung Tibets die politische Verantwortung tragen“, heißt es darin. Amnesty-Gruppen aus ganz Mittelhessen demonstrieren denn auch ganztägig vor dem Ausstellungsgelände, das nach dem Willen der deutschen Vertragspartner der chinesischen Trade Corporation, der „China Park Rode GmbH“ und der „Karo Asienwaren GmbH“ beide Firmen gehören dem Schwalmstädter Kaufmann Richard Rode - einmal ein chinesischer Freizeitpark nach dem Muster von Disneyworld werden soll.
Doch die amnesty-VertreterInnen, die am Mittwoch vor den Messetoren die BesucherInnen mit Fotos von dem Massaker auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ konfrontierten, stießen bei den chinesischen Ausstellern und ihren MitarbeiterInnen meist auf ungläubiges Staunen. Das Shaanxi-Broadcast-TV, das in einer der Messehallen eine Videowand aufgebaut hatte, auf der pausenlos Volksarmeeopern abgedudelt wurden, habe ihnen im Juni nämlich ganz andere Bilder geliefert, beteuern sie: „übergeschnappte Studenten“ und „kriminelle Elemente“, die gegen die Ordnungskräfte vorgegangen seien, hätten mit „sanfter Gewalt“ zur Raison gebracht werden müssen. Und im übrigen sei man nicht nach Schwalmstadt gekommen, um über Politik zu reden. „Wir sind Geschäftsleute“, meint etwa der Chefingenieur des staatlichen Energiedepartments SWCR, Li Xinghan. Herr Xinghan zum Beispiel will Atomtechnologie verkaufen und überreicht stolz den Prospekt über das erste Groß-AKW der Volksrepublik in Qinshan. Insgesamt 156 Aussteller wollen noch bis zum kommenden Montag die „Wirtschaftskraft des volkreichsten Landes der Erde“ demonstrieren, wie es in der Einladung heißt.
Doch die Messe ist nicht nur ein „Affront für all diejenigen, denen Demokratie und Menschenrechte ein ernsthaftes Anliegen sind“ (Gesellschaft für bedrohte Völker) sondern auch für die Aussteller selbst. Von den 50.000 Fachbesuchern und Geschäftspartnern, die sich nach den Prognosen von Kaufmann Rode auf das „China-Geschäft“ stürzen wollten, war an diesem Eröffnungstag nichts zu sehen. Gelangweilt, aber immer noch freundlich lächelnd und jederzeit zum Teeausschank bereit, saßen die Chinesinnen und Chinesen an ihren Messeständen und drehten Däumchen. Die Schwälmer Bäuerchen mit ihren Familien, die bereit waren, pro Kopf acht Mark Eintritt hinzulegen, interessierten sich weder für die Entwicklung der Leichtindustrie in China noch für medizinische Geräte oder elektrische und elektronische Produkte, die allein schon in ihren Dimensionen an die 50er Jahre erinnerten. „Alles Schrott“, meinte denn auch ein dicker Familienvater zu einem Chinesen am Stand für Heim und Haustextilien. Doch der verstand nur „Bahnhof“ und hielt dem Mann einen groben Arbeitskittel aus staatlicher Produktion unter die „Langnase“: „You can order 20.000 pieces.“
So zog es die wenigen BesucherInnen bald in das Teehaus des Richard Rode und ins Verpflegungszelt. Doch wer sich dort auf die angekündigte „chinesische Küche“ und das „chinesische Bier“ gefreut hatte, wurde herb enttäuscht: Kartoffelsalat und belegte Brötchen statt Fleischspießchen in Erdnußsoße mit Reisschnaps. So nahmen die Schwälmer Familien vom Nachmittag auf der „China '89“ allenfalls ein Pandabärchen mit, das in allen Größen feilgeboten wurde und das demnächst an Hunderten von Autorückspiegeln baumeln wird. Das original chinesische Toilettenpapier aus Hailongjiang stieß dagegen ebensowenig auf Interessee, wie der ganze Plastik- und Plüschkitsch aus volkseigener Produktion, der sich in -zig Messeständen stapelte. So richtig schön anzusehen waren währenddessen die in traditionellen Gewändern aufspielenden MusikerInnen aus Shanghai und die bunten Buddha- und Drachenfiguren, die einmal den China-Park des Herrn Rode schmücken sollen. Beeindruckend auch die in Originalgröße aufgebaute Tonarmee des chinesischen Kaisers Qin Shi Huang, die fast die Hälfte der Halle C füllt. Das China von gestern zog daher auch mehr Messebesucher an als das China von heute. Doch das „alte Reich der Mitte“ steht ja in Schwalmstadt nicht zum Verkauf an. Die hessische Landesregierung übrigens will mit der Ausstellung China '89 nichts zu tun haben, wie ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf Nachfrage versicherte - auch wenn neben den chinesischen Fahnen die Bundesflaggen wehen.
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