: Die Schwierigkeit des Anfangs
■ Mit Günter Grass sprach Michael Stöber über europäischen Hochmut, Romananfänge, Rushdie und die Deutschen
Herr Grass, in 'Zunge zeigen‘, Ihrem letzten Buch, schreiben Sie, daß Sie „rauswollten aus der Ausgewogenheit“, weg von dem subtilen Flachsinn „in der Republik“, weg auch von sich als Teil oder Gegenstand der Öffentlichkeit. Das ist sehr deutlich. Warum aber gerade Indien, warum Calcutta? Was hofften Sie dort zu finden?
Calcutta ist eine Stadt, die ich von einem damals elf Jahre zurückliegenden Besuch kannte und die mich nicht losgelassen hat. Ich habe dann später noch viele andere Städte der Dritten Welt gesehen: Mexiko-City, Manila, Nairobi, Singapur. Aber nirgendwo kamen mir die Probleme, eben nicht nur der Dritten Welt, sondern auch unserer Welt, der sogenannten Ersten Welt, so gebündelt vor und so offen zu Tage liegend, daß sie auch einsichtig werden konnten, wenn man nur länger dablieb und genau und geduldig hinschaute.
Inwiefern?
In Calcutta werden die Slums nicht durch Sichtblenden ausgegrenzt wie in Manila. Die Übergänge zwischen den Quartieren der Reichen und der Armen sind da ganz unmittelbar. Beim Blick auf diese erniedrigende Armut denken Sie zwangsläufig irgendwann an die wirtschaftliche Verteilungsproblematik, und dann werden die internationalen Dimensionen recht schnell deutlich. Denn was in den Entwicklungsländern heute passiert, hat ja auch für uns Konsequenzen - ökologisch, demographisch und ökonomisch.
'Zunge zeigen‘, so erfährt man spätestens durch Ihr Buch, ist auch ein Symbol. In der indischen Mythologie ist das ein Ausdruck von Scham. Ist das eigentlich die einzige Reaktion, die dem Europäer bleibt angesichts des Weltzustandes dort?
Auf jeden Fall ist es erst einmal eine angemessene. Denn das ist ja auch etwas, was wir, zwar nicht allein, aber doch mit angerichtet haben und nach wie vor anrichten durch eine Art neuer Ausbeutung, nicht mehr im alten kolonialen Stil, aber doch in einer moderneren, viel raffinierteren und viel umfassenderen Form. Es sollte deutlich werden, daß es da auch eine Mitverantwortung gibt. Allein schon die Erfindung des Wortes Dritte Welt ist ja ein absurder Vorgang: wir maßen uns hier als Erste Welt an Kategorien zu erfinden. Das ist auch ein Stück Klassensystem, das sich in dieser Formulierung ausdrückt, und es wäre ja schon viel gewonnen, wenn dem Einzelnen bewußt werden könnte, daß seine Sicherheit und ein Teil seines Wohlstandes in dieser sogenannten Dritten Welt bezahlt werden, daß unsere Wachstumsraten spiegelbildlich eine wachsende Verelendung zur Folge haben, daß wir auf Kosten der Dritten Welt leben.
Darauf sollte man als erstes mit Scham reagieren und dann Konsequenzen daraus ziehen. Die bleiben weitgehend aus: von der nach wie vor bestehenden Verweigerung, diese verschuldete Dritte Welt von ihren Schulden zu entlasten, damit sie überhaupt einmal zu Atem kommen kann, bis hin zur Idee einer neuen Weltwirtschaftsordnung, wie sie u.a. Willy Brandt in seinem Nord-Süd-Bericht gefordert hat. Aber es geschieht nichts in dieser Richtung.
Sie und Ihre Frau haben nach dieser Reise eine Initiative gegründet, um ein Schulprojekt in Calcutta zu unterstützen.
Das ist das, was der Einzelne tun kann. In der Unterstützung dieser Schule in den Müllbergen von Calcutta die ich ja auch in dem Buch beschrieben habe, sehe ich die Möglichkeit einer sinnvollen Hilfe. Hier weiß man mit Sicherheit, daß das Geld für dieses Projekt nicht in dunklen Kanälen verschwindet oder durch obskure Verwaltungsarbeit verschlungen wird.
Mir ist aufgefallen, daß Ihr Blick auf Indien nicht frei ist von deutschen und europäischen Reminiszenzen: hinter dem Slum taucht das Gebäude der Deutschen Bank in Frankfurt auf, Feiern zu Ehren der Göttin Kali lassen Sie an Schleswig -Holsteinische Pfeifer- und Trommlerumzüge denken, die Nachrichten deutscher Tageszeitungen verstärken den Irrwitz der fremden und eigenen Wirklichkeit, Sie diskutieren in Indien über Adenauer und Schumacher; Lichtenberg und Schopenhauer sind philosophische Wegbegleiter. Trifft man überall in der Welt letztlich doch immer wieder nur auf sich selbst?
Ich habe von mir aus gar keinen Versuch unternehmen wollen, den Europäer oder den Deutschen als Europäer in mir zu verleugnen. Mein Herkommen ist mein Hintergrund. Ich halte auch nichts von der Reisewelle, die wir eine Zeitlang hatten, wohl auch immer noch haben, wo man sich ein orangefarbenes Gewand kauft, sich in Gebete versenkt, der mühsam erworbenen europäischen Tradition der Aufklärung abschwört und sich einem neuen Irrationalismus hingibt. Mir war von vornherein bewußt, daß ich immer ein Fremder in diesem Land bleiben würde. Das Aufgeben meiner eigenen Identität hätte mich nicht in die Lage versetzt, so zu schreiben, wie ich es getan habe, nämlich mit dem Anspruch der europäischen Aufklärung.
In dem frühen Gedicht 'Lilien aus Schlaf‘ heißt es: „Zwischen den Lilien aus Schlaf, müht sich des Wachenden Schritt“, in der 'Danziger Trilogie‘ schreiben Sie an gegen den Schlaf der Restauration, gegen die Verdrängungen der Adenauer-Zeit, im 'Tagebuch einer Schnecke‘ legitimieren Sie Ihre Parteinahme für die 'gute alte Tante Es-Pe-De‘ mit der Hoffnung, daß der Kampf für vernünftige Lösungen, auch wenn die Geschichte keinem Vernunftgesetz folgt, nicht vergeblich sei, in der 'Rättin‘ alpträumen Sie von einer möglichen Selbstvernichtung der Menschheit, in Indien bleibt als erstes nur die Scham. Ist Ihr Geschichtsbild pessimistischer geworden?
Ja. Das heißt, mein Menschenbild ist pessimistischer geworden. Ich habe von der Geschichte als Prozeß im Hegelschen Sinne nie einen Fortschritt erwartet. Ich halte diese Hegelsche Ideologie in der Tradition des deutschen Idealismus sogar für äußerst gefährlich. Wir haben ja gesehen, was passiert, wenn man dem Hegelschen Satz folgt, daß das Faktische Recht hat. Dann ist jedes politische Verbrechen, z.B. die Ermordung der Kulaken unter Stalin in der Sowjetunion, gerechtfertigt, wenn es nur einen gewissen geschichtlichen Fortschritt in sich birgt. Ich habe das immer abgelehnt.
Aber ich habe doch geglaubt, daß man nach Auschwitz aus der Geschichte lernen würde. Daß man die eigenen Grenzen begreifen würde, zumal uns ja diese Grenzen jeden Tag deutlicher werden durch eine sichtbare, spürbare, nachprüfbare Zerstörung der Umwelt, die weltumfassend ist und die Dinge zur Folge hat wie die Klimaveränderung, von denen wir vor zwanzig Jahren nicht einmal schlecht geträumt hätten. Dennoch geschieht nichts. Dadurch wird mein ohnehin angelegter Skeptizismus verstärkt. Das Einstein-Wort, daß die Atombombe alles verändern wird, nur unser Denken nicht, ist leider eingetroffen.
Ideologiekritik findet in Ihren epischen Werken oft genug auf der Ebene von Parodie und Persiflage statt. Das trifft für 'Zunge zeigen‘, so finde ich, überhaupt nicht zu. Das Buch ist nicht zum Lachen. Was hat sich geändert?
Wissen Sie, 'Die Rättin‘, ein Buch, das von der Selbstzerstörung der Menschheit handelt, ist streckenweise noch auf verzweifelte Art und Weise komisch. Das kann man aber, glaube ich, als Autor nur im eigenen Bereich machen. Satire, Groteske setzt Familiarität voraus. Ich käme nie auf die Idee, einen Roman zu schreiben, der in indischen Verhältnissen spielt, und wenn ich diese Idee hätte, müßte das scheitern, weil mir der Geruch, der Mief, die Vertrautheit fehlt. Es gibt im Buch Stellen, wo ich sage, hier müßte ein indischer Autor ran: dieser Palast, der von Slumbewohnern besetzt ist und der von Frauen regiert wird und wie die sich dort organisieren, das hat sehr viele komische Momente; aber das kann nur ein indischer Autor schreiben, ein bengalischer Autor und einer, der im indischen Sinn polyglott ist, der also außer bengalisch auch noch die Sprache der Biharis und der Leute aus Orissa versteht, also des ganzen Umlandes von Calcutta. Das ist ja nicht nur ein Vielvölker-, sondern auch ein Vielsprachenland. Nur wer diesen Mief, diese Nähe versteht als Autor, ist in der Lage, eine Satire zu schreiben.
Deutschland ist wieder in den Schlagzeilen. 'One Germany‘ titelt Time-Magazine, Massenflucht von DDR-Bürgern aus Ungarn, politische Metamorphose in Polen. Liberalisierung im Ostblock. Kein Thema für den Schriftsteller Grass?
Na ja, ich habe ja einiges darüber geschrieben. Angefangen mit einem Theaterstück 'Die Plebejer proben den Aufstand‘, das interessanterweise in Calcutta gespielt wurde und in Polen und Ungarn viel Interesse findet, nur leider bei uns nicht. Es gibt ein kurzes, aber sehr programmatisches Buch, das ich Anfang der achtziger Jahre geschrieben habe, 'Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus‘, und mit dem ich mich zwischen die Fronten gestellt habe; die Sonntagsreden über die Wiedervereinigung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die nachlässige, saloppe westliche Beteuerung: 'Was brauchen wir eine Wiedervereinigung? Das ist nun einmal so und fertig‘.
Ich bin mit der einen wie der anderen Position nicht einverstanden. Ich glaube, daß wir eine Leistung bis heute nicht vollbracht haben: unseren europäischen Nachbarn ein Deutschlandbild zu vermitteln, vor dem sie keine Angst mehr haben müssen. Eine Wiedervereinigung als Machtballung beider deutscher Staaten, als vereinte wirtschaftliche und militärische Macht, wird zu Recht von unseren Nachbarn gefürchtet. Das darf und kann nicht unser Ziel sein. Wohl aber sollte es möglich sein, so etwas wie eine kulturelle Konföderation anzubahnen. Das ist eine Möglichkeit, die sich eigentlich auch in unserer Geschichte findet. Herder hat, glaube ich, den Begriff der Kulturnation geprägt. Gut, das war ein Begriff des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts. Aber wenn wir den für unsere Zeit neu formulieren und Bereiche in diesen Kulturbegriff hineinnehmen, wie z.B. Entwicklungshilfe, dann gäbe es eine Reihe Dinge, die man gemeinsam machen könnte anstatt ideologisch gegeneinander zu arbeiten.
Bei uns geht vieles an Möglichkeiten verloren, weil wir immer an Maximalforderungen hängen: entweder auf ewig zwei Staaten oder gesamtdeutsch wiedervereinigt. Dieses Gesamtdeutschland, das man wiedervereinigen will, das gibt es ja erst seit relativ kurzer zeit, seit 1870/71. Eine kurze und sehr unglückliche Geschichte. Die Struktur Deutschlands ist immer föderalistisch gewesen, ganz anders als z.B. in Frankreich; es gab und gibt die kulturelle Vielfalt unterschiedlicher Provinzen, warum sollte da eine Konföderation von zwei deutschen Staaten nicht möglich werden?
Das setzt allerdings voraus, daß wir den Wiedervereinigungsanspruch in der staatlichen Form endlich aufgeben und daß sich die DDR endlich als reformfähig erweist. Eine solche Lösung wäre auch unseren Nachbarn zu erklären, aber sie scheitert wohl, weil die Geduld fehlt und die Liebe zur Maximalforderung zu groß ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ja, daß man lange glaubte, die Teilung würde auch zur Spaltung der Kultur, mithin der Literatur führen, so wie die DDR ja eine Nationalliteratur anstrebte. Das ist nicht eingetreten. Wir haben eine gesamtdeutsche Literatur. Man hat das Land ideologisch, wirtschaftlich, militärisch geteilt, nur der kulturelle Bereich, der schwächste, der sensibelste, ist am resistentesten. Kleist läßt sich eben nicht teilen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Herr Grass, man lernt in Ihren Büchern über Nazis und Nachkriegszeit, über zahnärztliche Kunst und Kochkunst, über Kirche und Katheder, Ballspiele und Barock. Braucht die Fiktion das Dokument?
Nehmen wir als Beispiel den 'Butt‘. Da hat mich ein geschichtlicher Vorgang interessiert, der in der Geschichte meist unterschlagen oder nur am Rande behandelt wird: die Geschichte der Ernährung, die ich für eine der zentralen Fragen bis heute halte, denn annähernd die Hälfte der Weltbevölkerung ist unterernährt oder schlecht ernährt.
Bei der Arbeit an diesem Thema fiel mir auf - was ich vorher nur vermutet hatte - wie sehr die Geschichte der Emanzipation oder Nicht-Emanzipation der Frauen mit diesem Ernährungsproblem zu tun hat. Wie dieser Anteil der Frauen an der Geschichte auch so gut wie gar nicht vorkommt in der Geschichtsschreibung. Der Gemeinplatz 'Männer machen Geschichte, Männer schreiben Geschichte‘ ist mir da am deutlichsten geworden. Davon handelt 'Der Butt‘. Und da war es dann oft notwendig, mit vorhandenem Material zu arbeiten, aber auch zu zeigen, daß es für einen Schriftsteller manchmal notwendig ist, Dokumente zu erfinden, denn nur die Sieger hinterlassen Dokumente, nicht die, die auf der Schattenseite der Geschichte stehen. Aber das ist dann schon wieder ein erzählerischer Prozeß. Und oft sind die erfundenen Dokumente, so glaube ich, genauer als die überlieferten.
'Zunge zeigen‘ ist ein Mixtum aus Tagebuchnotizen, Zeichnungen und einem Gedichtzyklus. Sie bemerken einmal, „sich wegzeichnen oder sich zeichnend ins Wort fallen zu wollen“. Ist in dieser Trias die Zeichnung für den Künstler Grass das angemessenere Medium, um sich in Indien zu orientieren?
Es gibt keine Priorität. Ich möchte nicht sagen, daß das Zeichnen angemessener oder wichtiger war oder ist. Aber nie ist mir so deutlich geworden wie während der Zeit in Calcutta, wie diese beiden Möglichkeiten, die ich habe, das Zeichnen und das Schreiben, miteinander verwirkt sind. Dort, wo angesichts der bedrückenden Wirklichkeit die Sprache versagte, war das Zeichnen eine Möglichkeit, durch genaues und geduldiges Hinsehen wieder zur Sprache zu kommen.
Herr Grass, Ihre Romananfänge sind berühmt, ob in der 'Blechtrommel‘, den 'Hundejahren‘ oder im 'Butt‘. Ist der erste Satz für Sie der Schwierigste?
Ja. Solange ich den ersten Satz nicht gefunden habe, läuft es nicht. Damit ist das Thema, der Erzählrhythmus, die Spannweite angegeben. In einem Satz wie „Und Ilsebill salzte nach“ ist die ganze Konfliktmasse des 'Butt‘ als Thema angeschlagen.
'Das Treffen in Telgte‘ ist eine Hommage an Hans Werner Richter und die Gruppe 47. Sie haben schon oft bedauert, daß es diese Gruppe nicht mehr gibt. Wäre es da nicht an der Zeit, selbst eine solche Gruppe zu gründen?
(lacht) Das kann nur jemand machen, der dieses exzeptionelle, nicht-nachahmbare Talent hat, das ein Hans Werner Richter hatte, der diese kreativ-verrückten Schriftsteller mit all ihren Gegensätzen und Ausschließlichkeiten zusammenbrachte. Denken Sie nur an das breite Spektrum von Stilrichtungen, hinter denen ja immer Personen standen. Da lasen Heißenbüttel und Weyrauch. Das war nebeneinander möglich und mußte sich ertragen. Wichtig war auch der Druck der Adenauerzeit und die Einsicht, daß Toleranz geboten war. Trotzdem ist es ein kleines Wunder, daß diese Gruppe so lange bestanden hat, ohne ein Verein zu sein, ohne Mitgliedschaft und Beitrag, ohne Kassenwart. Und das in Deutschland. Ein Wunder und zugleich eine Erklärung. Aber vor allem war es der aufgeklärte Despotismus von Hans Werner Richter. Das war eine Respektsperson. Dem nahm man das ab. Mir hätte man das nie abgenommen oder einem Enzensberger oder Rühmkorff - wir hätten viel zu sehr teilend gewirkt.
In den fünfziger Jahren waren Sie auch als Pornograph und blasphemischer Autor verschrien. Heute regt man sich bei uns darüber scheinbar nicht mehr auf, während in einem anderen Teil der Welt ein Autor wegen seiner vorgeblich blasphemischen Verse mit Mord bedroht wird. Wie beurteilen Sie diese Kampagne?
Diese Unterstellungen waren nie Teil meiner Selbsteinschätzung, ebensowenig wie sich Rushdie als blasphemischer Autor versteht. Ich habe mit Rushdie einmal im englischen Fernsehen ein Gespräch geführt über Verlust als Voraussetzung für das Schreiben - als auslösendes Moment. Wie bei mir Danzig, so bei ihm Bombay. Manche Leute mißverstehen das offensichtlich als Blasphemie oder Tabuzertrümmerung.
Daß bei uns nicht mehr nach der Elle gemessen wird, ob etwas Gott wohlgefällig ist oder ob es ins bürgerliche Anständigkeitsgefühl paßt, das ist ja gut so. Vielleicht hat Literatur dazu beigetragen. In 'Katz und Maus‘ habe ich seinerzeit über das Onanieren geschrieben, so daß man darüber lachen konnte. Das wirkte für viele schockierend; aber es hatte nichts Verklemmtes, nichts Verschwitztes, es war etwas Alltägliches, etwas Normales, was jeder einmal gemacht hat oder immer noch macht. Für die 16/17jährigen, die das damals lasen, hatte das, wie mir viele später bestätigten, etwas Befreiendes.
Für die Moslems scheint Rushdies Buch keine Befreiungsdimension zu haben.
Sicher nicht für alle. Für die Mullahs, für die Wahrer der reinen Lehre, ist das immer ein Sägen an ihrem Thron; da ist die Zaubererstellung bedroht. Das trifft nicht nur für die moslemischen Zauberer zu, nehmen Sie Perestroika, wie die alten Männer da an ihren Stühlen kleben, nehmen Sie alle heiligen Kühe, ob sie freie Marktwirtschaft, die marxistische reine Lehre oder Islam heißen. In einem anderen Jahrhundert hätte ein Buch wie 'Die Blechtrommel‘ ausgereicht, um nach dem Schafott zu rufen oder den Scheiterhaufen zu entzünden. Im Falle von Rushdie ist das leider heute noch so.
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