: Variation über einen Uniformträger
■ Thorsten Beckers Erzählung "Schmutz" nach dem gleichnamigen Film von Paulus Manker
Film von Paulus Manker
Die Arbeit des Besitzlosen am Besitz der anderen, und wie sie die realen Besitzverhältnisse verzerrt: je ernster die Pflicht genommen wird, desto mehr hat der fremde Besitz Qualitäten des eigenen. Ein schmutziges Spiel, der falsche Stolz bewirkt Demütigung, aber auch die Versuchung, den Besitz in Anspruch zu nehmen.“ Von der beruflichen Entfremdung des Wachmanns Joseph Schmutz ist die Rede: er ist der Protagonist der ersten Regiearbeit von Paulus Manker, die der österreichische Schauspieler (ehemals Burgtheater, heute Thalia) mit Low Budget-Etat zurechtgestammelt hat.
Die „Kleinbürgerpassion“, wie das Berliner Stadtmagazin Zitty die Geschichte des diensteifrigen Privatsheriffs nannte, ist schnell erzählt. Schmutz wird mit einem Kollegen zur Bewachung einer verrottenden Papierfabrik abgestellt. Abgestellt und vergessen. Nichts besonderes also, wäre der beste Mann der Wachgesellschaft nicht von übersteigerter Ordnungsliebe und einem maschinenhaften Gehorsam der Dienstaufgabe gegenüber beseelt.
„Wie nennen die Völker der Welt einen Eindringlich in ihr Territorium?“ fragt der Oberkontrollor, eine adlerhafte Erscheinung im SA-Ledermantel, die aus dem gläsernen Führerstand Befehle erteilt. „Feind“, kläfft Schmutz eilfertig.
Und als Regisseur Manker knöcheltief in der Klischeekiste steht, schickt er seinen Helden in den Sinnentaumel. Schon wird Schmutz von Visionen geplagt und vom Ewig Weiblichen versucht, das sein unrasierter Kollege zum Saufgelage auf das zu schützende Areal geführt hat. Schmutz, den ordnungsliebenden Deutschen Schäferhund, rührt das alles nicht an: „Keine besonderen Vorkommnisse“ notiert er in sein Wachbuch. Der Oberkontrollor wirft den unzuverlässigen Kollegen vom Rayon 12 und überläßt Schmutz das Feld. Der verkriecht sich misanthrop im Fabrikkomplex, bis sein Chef mit der Hiobsbotschaft zurückkehrt: der Kunde hat den Auftrag annulliert.
Für Schmutz bricht die Welt zusammen: er jagt den Chef, entwirft komplexe Feuerspiele, um Eindringlinge zu vertreiben und tötet schließlich einen Sprengmeister, der die Fabrik in die Luft sprengen will.
Keine Szene unterstützt glaubwürdig die vorhergehende, nichts wirkt stimmig. Und doch ist der Fortgang der Handlung vertraut, dem Spannungsbogen von Musik-Videoclips oder Duschgel-Reklamen entsprechend. Jede Szene ist aufs Schönste noir ausgeleuchtet, künstliches Sonnenlicht scheint grell auf die Staubschicht, die alle Requisiten überzieht. Pittoreske Feuer brechen aus, um ein in vielen Nahaufnahmen fotografiertes Liebespaar aus der Szene zu scheuchen. Stahltüren schlagen mit bedrohlichem Bums! zu, was das Hallgerät hergibt.
Der dumpfe New Wave-Habitus schlägt auch auf die Handlung durch. Der Symbolismus Mankers ist ebenso protzig wie vordergründig: Taube, Pfau und Adler illustrieren Schmutzens Kreuzweg. Die lästigen Tauben im Innenhof der Fabrik durchbohrt er mit Pfeilen. Den Paradiesvogel, der krähend Wachmanns Visionen begleitet hat, kreuzigt er. Nur der stolze Adler bleibt übrig, als die Fabrik schließlich in Flammen aufgeht.
Die degoutante Sound-Plörre der Popgruppe Yello gibt dem Film schließlich den Rest: Kaufhausmusik und bunte Bilder keine Spur vom Schmutz und der Obszönität des Besitzens.
Der Berliner Schriftsteller Thorsten Becker, 1985 für seine Erzählung „Die Bürgschaft“ mit dem FAZ-Literaturpreis ausgezeichnet, hat sich der Sache angenommen. Nachdem er „Schmutz“ Anfang 1989 bei der Voraufführung im Berliner Sputnik-Kino gesehen hatte, beschloß er, den Film literarisch zu verarbeiten.
Herausgekommen ist ein 124 Seiten starkes Bändchen. Thorsten Becker gibt sich redlich Mühe, der blassen Vorlage Leben einzuhauchen, und es gelingt ihm, ein schärferes Bild von Joseph Schmutz zu zeichnen, als der Schauspieler Fritz Schediwy es vermochte. Das Buch zerfällt in zwei Teile, die sich so sehr ähneln, daß der Verdacht naheliegt, Becker habe das „Schmutz„-Drehbuch - an dessen Entstehung er nicht beteiligt war! - schlicht aufgeblasen. Knapp 50 Seiten umfaßt der Brief des Joseph Schmutz an seinen Gott, gefolgt von einer weitgehend identischen Beschreibung der Ereignisse in der 3. Person.
Mit der hölzernen Sprache und dem rechthaberischen Gestus eines ins Verwaltungsdeutsch verliebten Ordnungsmenschen läßt Becker den Wachmann Ausreden sprudeln. Schmutz‘ Religiosität beschränkt sich auf die Bitte an Gott, ihm eine neue Vision zu schicken, um ihn dem Gefängnisalltag zu entrücken, wohin der unbedingte Wunsch nach Verteidigung seines Areals ihn geführt hat. Schließlich entläßt Becker Schmutz auch aus der scheinbar religiösen, um antifaschistischen Beifall heischenden Kleinbürger-Passion:
„Ich habe mir das Papier, auf dem ich dir diesen Bericht schrieb, vom Arsch abgespart. Ich schrieb heimlich, bei schlechtem Licht mit einem immer stumpfen Bleistift auf Klopapier. Warum das Ganze? Ich habe einen neuen Beschluß gefaßt: die lästige Frage nach Schuld oder Unschuld wird über Bord geworfen. (...) Morgen noch werde ich mein Schiff erreichen. Ich werde in einem Land fern von Europa ein neues Leben beginnen, und ich habe das starke Gefühl, ohne Dich“ schreibt der Wachmann seinem Gott zum Abschied.
In Wirklichkeit ist „Schmutz“ keine Geschichte über die üblen Folgen des Kadavergehorsams (dem Joseph Schmutz nie anheimgefallen ist), sondern das Bildnis eines konsequenten Misanthropen. Das scheinbare Pflichtbewußtsein als Wachmann dient dem Protagonisten lediglich als Vehikel, um sich das Eindringen der Außenwelt in sein Leben zu ersparen. Als Schmutz sein selbstgewähltes Exil durch den Oberkontrollor bedroht fühlt, zieht dieser das Verrücktsein der Pflichterfüllung vor.
Stefan Gerhard
Die Kinopremiere des Films von Paulus Manker findet am 12. Oktober in Frankfurt statt. Der Film startet außerdem in Hamburg und München.
Die 124 Seiten umfassende Erzählung von Thorsten Becker ist im Ammann-Verlag, Zürich, erschienen und kostet 28,80 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen