: Die Anderen
■ El Pais: Zur Lage in der DDR / Le Monde: Entwicklung in der DDR und französische Deutschlandpolitik
El Pais
Zur Lage in der DDR nach der massiven Fluchtbewegung ihrer Bürger, Demonstrationen und ersten Anzeichen für eine Öffnung in der Parteiführung schreibt die liberale spanische Zeitung:
Der Wechsel (in der Haltung der SED-Spitze) ist einerseits auf den Umfang und die Stärke der Opposition zurückzuführen, die trotz Zensur und Unterdrückung zahlreiche Gruppen gründete - die populärste von ihnen ist das Neue Forum -, die jetzt mit ihren Forderungen nach Reformen, Demokratie und Freiheit an die Öffentlichkeit getreten sind.
Ein anderer entscheidender Faktor war zweifellos die Haltung Gorbatschows während seines Besuchs in Ost-Berlin. Selbst die Führung der DDR mußte sich eingestehen, daß es zum Selbstmord führen würde, wenn sie auf ihrer früheren Haltung beharrt hätte. Jetzt bleibt abzuwarten, ob der neuen Sprache (der SED) Taten folgen werden, nämlich eine wirkliche Liberalisierung, die Demokratisierungsschritte vergleichbar mit denen erlaubt, die zur Zeit Moskau, Warschau und Budapest erleben.
Unvermeidlich drängt sich aber auch die Frage auf: Ist dieser Weg der DDR gangbar, oder wird eine zunehmende Demokratisierung sofort ein Rennen in Richtung Wiedervereinigung mit dem anderen Deutschland auslösen? Die Haltung der BRD neigt - abgesehen von den Extremisten - klar dazu, das Thema der Wiedervereinigung zurückzustellen... Die Mäßigung der BRD ist fundamental für die Beruhigung der Gemüter in den anderen europäischen Hauptstädten und erleichtert ein längerfristiges Nachdenken, in das auch die Perspektive eines geeinten Deutschlands einbezogen werden muß.
Le Monde
Angesichts der Entwicklung in der DDR fordert die Pariser Tageszeitung eine klare Definition der französischen Deutschlandpolitik.
Ist die Zeit gekommen oder nicht, die „deutsche Frage“, das heißt die Frage nach der Wiedervereinigung, erneut laut zu stellen? (...) Gedankt sei den Demonstranten in Dresden und Leipzig, die nach eigenem Bekunden in der DDR bleiben möchten. Sie ermöglichen das Festhalten an der Illusion, daß es keine ostdeutsche Spezifität gibt, daß dieses Land mit dem Beginn einer Entwicklung konfrontiert ist, wie sie die Nachbarländer kennen, und daß man also über Zeit verfügt. Genügend Zeit, damit diese Protestbewegung eine Opposition wird und ihre Ziele erreicht; die Zeit also, sich umzuschauen, bevor man wirklich zum Kern des spezifischen Problems der DDR gelangt, nämlich ihre radikale Wesenlosigkeit, sobald man ihr ideologisches Gerüst abgebaut haben wird.
Die Lehre aus der Abwanderung, die zahlenmäßig nicht enorm, aber von unerhörter Bedeutung ist, lautet nicht nur, daß die deutsche Frage unumgehbar ist, sondern daß niemand mehr für sich beanspruchen kann, darüber zu entscheiden, wann sie gestellt wird. Wenn die Ostdeutschen morgen von alleine ihre Wiederangliederung fordern, was sagen wir dann, was tun wir dann? Und würde es ein Gemeinschaftseuropa geben, das die Frage solidarisch angehen kann, unvorbereitet wie es heute ist? Würde das berühmte französisch-deutsche Paar nicht zerbrechen? Es ist dringend Zeit, all jene in der Bundesrepublik aktiv zu unterstützen, die fordern, daß sich die Gemeinschaft mit dem Problem befaßt, und es ist zuerst Frankreich, das sich darum zu kümmern hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen