„Handlungsfreiheit statt Freihandel“

Bauernopposition, Verbraucherinitiativen und Umweltschützer diskutierten in Hamburg Alternativen zur Liberalisierung des Welt-Agrarmarktes / Die Verlierer bei der gnadenlosen Freigabe des Agrarhandels stehen bereits fest: die Dritte Welt und die Ökologie  ■  Von Sonia Shinde

Hamburg (taz) - Deutsches Milchpulver aus EG-Überschüssen findet reißenden Absatz in Indien, iranisches Fladenbrot wird mit billig importiertem französischen Weizenmehl gebacken, griechischer Spezialitäten-Joghurt soll in Athen künftig aus bayerischer Milch hergestellt werden. Auf dem Weltmarkt dreht sich ein wüstes Karussell der Agrarprodukte. Für die Vertragspartner des weltweiten Zoll- und Handelsabkommens GATT ist dies nur der Anfang. Seit drei Jahren verhandeln die GATT-Staaten in Genf über die Liberalisierung des Welt-Agrarmarktes. Motto: freier Handel, freie Wirtschaft - freier Handel mit der Wirtschaft. Bauernopposition, Umweltschützer, Verbraucherinitiativen und Dritte-Welt-Zentren formieren sich zum Widerstand gegen das geplante „Spiel ohne Grenzen“.

Am vergangenen Wochenende suchten in Hamburg rund 300 Mitglieder aus 30 bundesweit organisierten Gruppen aus Landwirtschaft, Entwicklungspolitik, Verbraucher- und Umweltschutz nach Gegenstrategien zum Freihandelskonzept des GATT. „Handlungsfreiheit statt Freihandel“ hieß das Motto. Plenar und in Arbeitsgruppen sollten Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven für eine sozial und ökologisch vertretbare Agrarpolitik diskutiert werden. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zwei international besetzte Podiumsdiskussionen mit den Themen „Agrar- und Entwicklungspolitik“ und „Verbraucher- und Umweltschutz“.

Wer gewinnt, wer verliert beim Poker um die Liberalisierung des Welt-Agrarmarktes? An dieser Frage schieden sich die Geister auf dem Podium. Der Kieler Wirtschaftswissenschaftler Dr. Jörg Volker Schrader und Detlef Schön, Vertreter von Cargill, einem der größten Getreidehändler der Welt, malten das Bild vom Freihandel als Allheilmittel gegen Umweltverschmutzung und steigende Schuldenlasten der Dritten Welt.

Der grüne Abgeordnete im Europaparlament Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf und der Abgesandte der Entwicklungsorganisation des europäischen ökumenischen Kirchenrats, Marc Luyckx, sahen hingegen Umwelt und Dritte Welt als eindeutige Verlierer im freien Spiel der Kräfte. „Ist es Protektion oder Protektionismus, wenn man einem portugiesischen Bauern, der nur zwei Kühe besitzt, hilft zu überleben?“, wandte sich Kirchenvertreter Luyckx an Podium und Plenum. „Was geschieht mit der einen Milliarde Bauern in der Dritten Welt?“

Wirtschaftswissenschaftler Schrader sieht darin keinen Wiederspruch zu der Freihandelstheorie und dem sogenannten vergleichenden Kostenvorteil (comparative advantage), der darin die Hauptrolle spielt. „Comparative advantage heißt doch, irgend etwas billiger zu produzieren, schließlich geht es nicht um die Erhaltung von Berufsständen, sondern um die Ernährung von Menschen.“ Die Dritte-Welt-Länder sollten eben in anderen Wirtschaftsbereichen expandieren. Welche der dort unterentwickelten Industriebereiche er damit allerdings meinte, konnte der theoretisch bewanderte Mann nicht sagen.

Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet auch Cargill-Mann Schön. Seine Firma orientierte sich allein an Handelsanreizen, und die würden bei einer Liberalisierung des Agrarhandels auch der Dritten Welt nutzen. Er verwies auf eine Studie des amerikanischen Wirtschaftsministeriums, nach der bei einem weltweiten Freihandel durch Zollersparnisse rund 33 Milliarden Mark an Wohlfahrtsgeldern frei würden. Sechs Milliarden entfielen dabei auf die Entwicklungsländer. Das sind noch nicht einmal 20 Prozent. Die reichen EG-Staaten würden mindestens das Doppelte kassieren.

Um Verlierer des Freihandels ging es auch bei der zweiten Diskussionsrunde. Umwelt und Verbraucher als Betrogene bei einem grenzenlosen Warenaustausch. Prominentester Gast war hier der Träger des alternativen Nobelpreises 1988, Jose Lutenberger. Der 62jährige Agronom aus Brasilien forderte die Teilnehmer auf, sich als Verbraucher gegen belastete Nahrung und den Einsatz von „Agrargiften“ zu wehren: „Wir müssen kämpfen und die Lügen der Technokraten nicht mehr einfach hinnehmen.“ Gefordert wurden außerdem schlüssige EG -Bestimmungen sowie die volle Ausschöpfung der schon bestehenden rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen der EG -Gesetze.

Der hessische BUND-Vertreter Eckhardt Engert brachte die momentane Verbrauchersituation auf den Punkt: „Ich fühl‘ mich von oben bis unten verarscht, bei den derzeitigen Zuständen in der EG.“ Einerseits würden Milliarden ausgegeben für den Bau riesiger Schlachthöfe, die mit Massentierhaltung und Nitratschwemme in ihrer Umgebung einhergingen. Gleichzeitig würden Millionen aufgebracht, um genau in denselben Gebieten die Nitrataussonderung zu verringern.

Einigkeit herrschte auf dem Podium darüber, daß ein weltweiter Agrarfreihandel genau dieses Paradoxon fördern würde. Entsprechend fiel auch ein gestern verabschiedetes Memorandum aus: Die KongreßteilnehmerInnen sagten ein klares Nein zum freien Spiel der Kräfte auf dem Agrarmarkt - in der EG und weltweit.