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DER „GUTE TON“

■ Tischmanieren und Aktionsformen der Musikschulen im Kampf um Subventionen

Gestern nacht hatte ich einen schrecklichen Alptraum. Ich fuhr mit vielen gröhlenden Kids in der U-Bahn. An jeder Station stiegen noch mehr zu, alle hatten Gitarren um den Hals und sangen schallend in mein Ohr, während sie mir ihre Geräte in Rippen, Brust und Bauch stießen. Mit hungrigen Mäulern schrien sie fortwährend: „Brot alleine macht nicht satt! Brot alleine macht nicht satt!“

Natürlich war das nur ein Traum. Aber im Ernst: lange mach‘ ich diesen Terror der Musikschulen nicht mehr mit. Jeden Tag eine Besetzung, ein Trompet-In, ein bis vierzehn offene Briefe, wie es zugiger nicht mehr geht... Und alles nur, weil die MusikschülerInnen kein Halten kennen, aber jetzt müssen: Klampfen, Flöten und ordentliches Gröhlen ist vorerst nicht mehr drin. Es besteht Aufnahmestopp. Grund: 1.) den Musikschulen ist der Etat radikal gekürzt worden. 2.) Die Lehrer können nicht mehr unterrichten, weil sie fürchterlich Demo-trompeten müssen.

Angefangen hat ja alles wie immer mit einer „ungewöhnlichen Maßnahme“ des neuerdings so ungewöhnlich musikalischen, mit Ost-West-Vögel-Verbrüderungssymbolik oder Denkmalsstürzen befaßten, mitklatschtaktfreudigen Maßregelbüros. Auf AL -regierungseigenem Faxpapier wurde an die GenossInnen ein flammender Aufruf rundgeschickt, die Musikschule Kreuzberg bei ihrem heroischen Kampf um die Erhaltung ihres Lebensraums zu unterstützen: das Rathaus Schöneberg wurde besetzt, eine Resolution an den Finanzsenator übergeben. Diese Bilder gingen um die Welt: wie die musizierenden DemonstrantInnen mit entschlossen-konzentriertem Blick ins Horn blasen.

Nicht daß ihnen der Erfolg nicht recht gäbe: Finanzsenator Meisner (SPD) muß jetzt wenigstens die Hälfte des fehlenden Geldes bis zum Jahresende aufbringen. Aber ist das eine Art, die eh schon heruntergekommenen politischen Aktionsformen, die einst gegen Vietnam, gegen den Schah, für Ohnesorg und Rattay erfunden worden sind, und heutzutage von Schlägertruppehefrauen, Hundehaltern und Jungdesignerindustriellen regelmäßig mißbraucht werden, noch weiter herunterzuwirtschaften? Bei allem Respekt vor dem Anliegen der Musikschulen: muß das sein, diese Übersprungshandlung der zu Kurzhaarigen mutierten ehemaligen Matratzensitter auf dem Kudamm? Als die Ideologie futsch war, blieb nur das Engagement, und seit auch das flöten geht, bleibt nur das engagierte Flöten.

Aber auch dagegen ist im Prinzip, wenn mit Gefühl gekeucht und mit Härte geblasen wird, nichts einzuwenden. Schlimmer ist, daß zum Zwecke der Erhaltung des Engagements - der Stelle und des pädagogischen Einsatzes - das Flöten zum Kampfmittel eskaliert. Im Angesicht drohender Entlassung von 30 Lehrern und der Kündigung von 300 Schülern schreibt die Musikschule Wilmersdorf in ihrer Resolution an den Regierenden: „In einer Zeit zunehmender Suchtgefahren (Alkohol, Drogen, multimediale Reizüberflutung) und in einer mehr und mehr nach rationalen Gesichtspunkten ausgerichteten Arbeits- und Umwelt, ist jede in die Musikschularbeit angelegte Mark eine Investition für ein intaktes Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen, die mittel und langfristig in vielfacher Höhe bei der Folgenbekämpfung sozialen Fehlverhaltens eingespart werden kann.“ Daß nur zwei Bezirke weiter gerade eben noch ein solcher Folgenbekämpfungsbetrieb, das Drogenhilfeprojekt „Oranienetage“, vor dem finanziellen Blackout gerettet werden konnte, geht den selbsternannten Sozialarbeitern offensichtlich am dezentralen Arsch vorbei. Vor dem Abgrund werden die Konkurrenzkämpfe um die dezentrale Mark eben härter. Was oben zitiertes Modell wirklich bedeutet, erläutert M. Sch., Wilmersdorfer Musiklehrer, in seinem persönlichen Brief an den „Regierenden, mehrere SenatorInnen & Abgeordnete / Ausschußvorsitzende“. Behauptung: Wer „in unserem System der Versachlichung, Profitmaximierung und Konkurrenz mit seiner politischen Macht verhindert, daß die einzelnen Menschen sich auf ihre guten Seiten besinnen, ihre Kreativität und musischen Fähigkeiten, handelt (höflich formuliert) schwer kriminell“. Beweis: Denn, „die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit des Einzelnen“ - und darauf kommt es ja an! - werde „durch die musikalische Rekreation (...) mit gewährleistet“. Schlußfolgerung: „Derjenige schädigt also das System, das er vertritt subtil, aber umso nachhaltiger.“ Fassen wir zusammen: Wer die Musikschulen nicht fördert, tut nichts für die Integration in ein menschenverachtendes System und setzt es der Zerstörung aus, woraus folgt: die Musikschulen sind die Vorreiter des Konkurrenzprinzips - wenn es nach M. Sch. geht.

Übrigens hat er, angestachelt von diesem „politischen Desaster ersten Ranges“ und dem Angriff „auf unsere bescheidene Existenz, der einer persönlichen Kriegserklärung (!) gleichkommt“ auch noch ein Lied vom „guten Ton“ beigelegt, zu singen nach der Melodie von „Sacco und Vancetti“ (Gott gebe ihnen ein vermodertes Ohr) und gewidmet der „Leitfigur des sozialen Umbruchs“, Walter Momper: Heute stehn wir vor deiner Tür/ rufen diese Botschaft zu dir: Wichtig ist der „gute Ton„/ in Wilmersdorf und anderswo!/ Unser Ruf läuft rund um die Stadt,/ Brot alleine macht nicht satt;/ du kennst die Kraft, um die's heute geht,/ die Kraft der Solidarität./ Setz dich für die Musikschulen ein,/ spar nicht hier und sieh doch mal ein:/ der Rotstift schadet allen hier nur -/ Schenk dem „guten Ton“ dein Ohr./ Heute stehn wir vor deiner Tür... und so weiter.

Bei soviel ungewöhnlicher Anmaßung, „ungewöhnlicher Maßnahmen“ und guter Töne, lobe ich mir die richtig biedere Musikschule Tempelhof. Im Lehrplan ordentlich ausgedruckt steht da am 10. November, einen Tag vor St. Martin: Musik und Laternenumzug der Musikschule. Musikschule auf der Suche nach Räumen. Irgendwie Probleme scheinen die auch zu haben. Aber sie plündern dafür nicht den letzten Schrein heiliger Widerstandsreliquien. So sei den Abgeordneten zum Hauptausschuß am 19. Oktober zugerufen: Schüttet um Himmels Willen euer Füllhorn über die Musikschulen aus, damit wir von weiteren selbstgedichteten Solisongs und Pamphleten verschont bleiben!

DoRoh

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