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Zwischen „Aldi“ und Karateschule

■ Die Mitglieder des Sozialausschusses gingen auf Stadtrundfahrt und besichtigten Unterkünfte für Aus- und Übersiedler / Medienrummel in den Heimen / „Was tun, wenn einer schnarcht?“ / Immerhin gibt's Auslegeware unter dem Klappbett

Im Bus herrscht Klassenfahrtstimmung. Mitglieder des Gesundheitsauschusses und der Presse in Zweierreihen auf dem Weg zu fünf Unterkünften für Aus- und Übersiedler. Das Vorzeigeobjekt kommt als erstes, aus geographischen Gründen, wie der Mann vom Landesamt für zentrale soziale Aufgaben versichert. Vor einer „Fertigteilunterkunft“ am Tempelhofer Ufer spuckt der Bus seine Ladung wieder aus. Kamerateams warten bereits, um ein Stück Aussiedler idylle abzufilmen. Weiße Häuschen, allesamt mit Regenbogen bemalt, in der Mitte ein Teich angelegt. Der Heimleiter geleitet den Troß in das Kindergartenhäuschen - tiptop eingerichtet, vom Kinderspielzeug bis zum Videorecorder. Beim Besichtigen der Häuser gibt sich jeder Mühe, nicht auf den frisch gesäten Rasen zu treten. Von den Bewohnern ist kaum jemand zu sehen. Ein Photograph entdeckt schließlich zwei Frauen in der Waschküche, die beim Anblick der Kameras verschwinden. „Mädels, bleibt doch hier...“, ruft er und geht in Position. Ein paar Minuten später wird sein Bildhunger gestillt: Ein leibhaftiger Aussiedler kommt an, mit zwei Koffern im Schlepptau. Die Kameras klicken.

Der Übergang von der Fertigteilunterkunft mit Regenbogenidylle zur nächsten Besichtigungsstation ist kraß. Spandau, am Juliusturm, zwischen Fabrikgebäuden die Adoros -Halle, in der ehemals Teppiche gelagert wurden. Jetzt stehen dort in Reih und Glied Einheitsklappbetten, alle 20 Meter ein Klapptisch, an der Wand reihenweise Resopalschränke. Die meisten der Bewohner sind unterwegs und klappern Meldestellen, Sozial- und Arbeitsämter ab. Einige wenige nutzen die Leere, um ihr Radio endlich aufzudrehen, zu lesen oder zu schlafen. Im Politiker- und Pressetroß erörtert man die Probleme von Massenunterkünften. „Stell dir mal vor, hier schnarcht nachts einer.“

Olaf, verheiratet, zwei kleine Kinder, hockt auf einem von 300 Einheitsklappbetten, fummelt das Fertigessen aus der Plastikfolie. „Geschockt“ sei er gewesen, als er vor einer Woche mit Familie in die Adoros-Halle kam. Daß er hier mal die Auslegware für die neue Wohnung kauft, das konnte er sich vorstellen, aber hier mit 300 Leuten leben... „Gott sei Dank, nur Deutsche.“ Petra, Mitte zwanzig, vier Klappbetten weiter, schaltet sich ein. Sie hat fünf Stunden beim Arbeitsamt abgesessen mit dem Resultat, daß sie für morgen wieder hinbestellt wurde. Und wenn sie jetzt noch mit Polen zusammenwohnen müßte, „dann wär‘ hier was los“. Sie säße längst nicht mehr hier, wenn die Wohnheime nicht von Polen besetzt wären. „Und das sind Polen, keine Deutschen, bloß weil die einen deutschen Schäferhund haben.“ Ausländerfeindlichkeit im Plauderton. Mit den vielen Türken sei das hier wohl ein Problem, sagt sie und blickt verständnisvoll in die verdatterten Gesichter der Journalisten. „Aber das ist bei uns mit den Fidschis genauso.“ Olaf springt hilfsbereit als deutsch-deutscher Übersetzer ein. „Boat-people heißen die im Westen.“ Beseelt sind sie alle von einem Gedanken: Wohnung oder wenigstens einen Platz im Wohnheim finden und raus aus der Halle. Bloß, bevor sie mit Polen eine Toilette teilen müßte, bleibt sie lieber hier in der Teppichhalle.

Dritte Station, Spandau, Hakenfelde. Irgend jemand hatte vor Jahren den glorreichen Einfall, aus der ehemaligen Siemensfabrik in der Streitstraße eine „zentrale Aufnahmeeinrichtung“ für Flüchtlinge zu machen, die einen Asylantrag gestellt haben, vom Zirndorfer Bundesamt aber noch keinem Bundesland zugewiesen worden sind. Flüchtlinge in „Phase 1“ heißt das im Amtsdeutsch. Inzwischen sind auch Aus- und Übersiedler dort untergebracht. Die Streitstraße stand ursprünglich nicht auf dem Besichtigungsplan. Der Heimleiter empfängt den Trupp am Tor. Einige Polen, Jugoslawen und Bangladeshis mustern irritiert die plötzliche betriebsamkeit in ihren Gängen. Kahle Wände mit gelblicher Farbe gestrichen, Krankenhausatmosphäre. Vor der Umwandlung in ein Flüchtlingsheim war hier die geriatrische Abteilung des Krankenhauses Spandau untergebracht. Alte Menschen wurden hier in Achtbettzimmern verwahrt, jetzt leben Familien mit Kindern zum Teil seit zwei Jahren in einem Raum. Zielstrebig steuert der Troß auf den Kindergartenraum zu, in dem die Sprößlinge aller vertretenen Nationalitäten zusammen betreut werden. Die Kameras klicken, die Senatorin wird zwischen den Kleinen postiert. Das Heim ist inzwischen zu klein. Was von weitem so aussieht wie ausgelagerte Toiletteneinrichtungen sind Wohncontainer. Die Einrichtung besteht aus zwei Stockbetten, Stuhl und Tisch. Immer noch geräumiger als die angemieteten Campingwagen, die genau davor stehen. Ein paar Kinder spielen zwischen den Sanitäranlagen. Es ist halb fünf, der Wunsch nach Kaffee wird geäußert. In der Heimcafeteria sind die Tische für den Parlamentsbesuch gedeckt, der Pächter weist per Handzeichen zwei Frauen zum Einschenken an. MitarbeiterInnen des DRK haben Platz genommen. Einigen ist die große Erwartung in diesen Besuch anzusehen - und die Enttäuschung, daß die Gruppe nach 30 Minuten wieder verschwindet. Ob es denn Schwierigkeiten zwischen den Kindern gebe, wird der Heimleiter gefragt. „Zwischen den Kindern nicht, aber zwischen den Erwachsenen.“ Knallharte Hierarchie und unverblümter Rassismus herrschen unter den 1.155 Heimbewohnern. „Ganz oben stehen die Aussiedler“, berichtet der Heimleiter. Selbst unter denen sind nicht alle gleich. Es gibt „legale Ausreiser“, „Ungarnflüchtlinge“ oder solche, die „einfach so rübermachen“. Es folgen Aussiedler und Polen, die Asyl beantragt haben. Ab dann wird nicht nach Aufenthaltsstatus unterschieden, sondern nach Hautfarbe; je dunkler die Pigmentierung, desto tiefer das Ansehen. Besonders polnische Aussiedler machten Stimmung gegen dunkelhäutige Flüchtlinge. Als sich der parlamentarische Besuch nach 30 Minuten wieder verabschiedet, ist einigen DRK -MitarbeiterInnen die Enttäuschung darüber anzumerken, daß allenfalls ein Bruchteil der Probleme zur Sprache gekommen ist.

Eine gewisse Abstumpfung ist nach der Streitstraße zu verspüren. Die nächste Station am Askanierring wirkt schon fast heimelig. Ebenfalls Gewerbehallen, aber die Aus- und Übersiedler aus der DDR und Polen sind hier gewissermaßen mitten im Leben integriert. „Aldi“ im Erdgeschoß, als Nachbar ein Versicherungsbüro, drüber eine Karateschule. Aus dem Büro mit dem großen „Arag„-Schild treten drei Männer heraus und stellen sich als Betreiber, Betreuer und Heimleiter vor. Letzterer klopft an eine der durchnumerierten Türen, zwei Pärchen schlängeln sich aus ihrem Vierbettzimmer, damit der Ausschuß richtig gucken kann. Der Raum mißt maximal 20 Quadratmeter. Hier Wohnlichkeit herzustellen erfordert eiserne Disziplin, jede Spraydose und Zahnbürste hat ihren festen Platz, Wandschmuck ist ein Lebkuchenherz, flankiert von zwei CDU-Fähnchen. Seit April sitzen sie jetzt schon hier und ringen sich im Angesicht von Presse und Senatsprominenz ein zuversichliches „Klar, das wird schon“ ab. Der Troß hat schon fast wieder kehrtgemacht, da fragt einer von ihnen doch noch ganz vorsichtig, als ob es anmaßend wäre: „Sie sind doch von der Presse, wissen Sie nicht, wie wir an 'ne Wohnung kommen?“

anb

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