Das Kreuzberger Binnenfischsterben

■ Kombinierter Theater- und Ökologieskandal im Hebbel-Theater / Verendende Fische sollen dem Publikum Impulse geben / Intendantin spricht von Moral und Mythen: „Das ist gut, daß das hier zutage kommt“ / Jetzt Forellen im Angebot

In Kreuzberg geschah am Montag abend wieder einmal Ungeheuerliches: Auf offener Bühne, im Angesicht Dutzender auch noch zahlender Schaulustiger wurde gleich eine ganze Gruppe unschuldiger Karpfen öffentlich gemeuchelmordet. Auf einem Salzteppich nach Luft schnappend, starben sie den Helden- inklusive authentischen Bühnentod. Das Killkommando dazu hatte der belgische Rundumkünstler Jan Fabre gegeben, der verantwortlich nicht nur für das Kreuzberger Binnenfischsterben zeichnet, sondern auch für Text, Regie, Choreographie und Ausstattung des im Hebbel-Theater am Montag und am Dienstag gastspielenden Stücks Das Interview, das stirbt, das im Juni im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführt worden war. Obwohl gleich nach Beginn des mörderischen Dramas einige junge Menschen ebenso solidarisch wie beherzt den Karpfen zu Hilfe eilten und diese unter „Tierquälerei!„-Rufen kurzerhand zwecks Wiederbelebung in die Toilette entführten, kam für die versalzenen Kreaturen dennoch jede Rettung zu spät.

Gestern griff dann der Berliner Tierschutzverein in die Karpfentragödie ein. Nachdem zunächst die Möglichkeit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung gegen eine weitere Aufführung des Stückes geprüft, aber gleich wieder verworfen wurde, erstattete man Anzeige wegen Tierqäulerei und rief das Veterinäramt Kreuzberg zu Hilfe. Dieses setzte sich dann mit Hebbel-Theaterintendantin Nele Hertling ins (gute) Benehmen.

Man einigte sich schließlich darauf am Dienstag unter Anwesenheit einer Veterinäramtsperson, die Rolle der sterbenden Karpfen mit „bereits tot gekauften Forellen, was per Kassenzettel nachzuweisen ist“, umzubesetzen. Forellen deshalb, weil die den Karpfen am ähnlichsten wären und „tot gekauft“ deshalb, „weil das dann Lebensmittel sind, und mit Lebensmittel kann man machen, was man will“. Intendantin Hertling, die bei dieser Gelegenheit auch erfuhr, daß neuerdings Sportangeln verboten ist, weil es hier nicht um Lebensmittelproduktion geht: „Daß man sich aufregt, das ist natürlich alles intendiert. Ich finde es auch toll und richtig, daß sich junge Menschen so empört haben. Dennoch sind sie aber den Argumenten nicht zugänglich. Die Schauspieler haben zum Beispiel immer wieder darauf hingewiesen, daß Millionen von Fischen auf Fischkuttern einfach ersticken. Und daß es da um Lebensmittel ginge, das ist doch eine Doppelmoral. Aber da schwingt soviel mit an psychosozialen Faktoren, an Moral, an Mythen. Das ist gut, daß das hier zutage kommt.“

Natürlich war auch die taz bei diesem kombinierten Theater und Umweltskandal dabei. Unsere Gewährsfrau zum Thema Theaterökologie: „Ich habe gehört, daß das sowieso kranke Fische gewesen sein sollen, was ja nun wirklich eine absurde Rechtfertigung wäre. Aber trotzdem ging es in dem Stück nicht um Tierquälerei, sondern darum, die Zuschauer zu quälen, indem sie in extreme Situationen gebracht werden. Das ist ja gelungen. Ich habe mich den ganzen Abend geärgert, daß ich ständig über die Fische nachdenken mußte. Schon tot gekaufte Fische würde man schneller vergessen.“

grr