: Zwei Quadratmeter Deutschland
■ Menschenunwürdige Zustände in der Psychiatrie Bedburg-Hau durch amtlichen Untersuchungsbericht bestätigt / Starke Überbelegung und unzumutbare sanitäre Anlagen / Sofortprogramm wird abgelehnt
Essen (taz) - Die menschenunwürdigen Zustände für LangzeitpatientInnen in der Rheinischen Landesklinik Bedburg -Hau sind jetzt amtlich. Der Klinikträger „Landschaftsverband Rheinland“ (LVR) hat konkrete Zahlen zur Unterbringung und Betreuung vorgelegt, welche die Kritik an den Zuständen der Klinik bestätigen. Gestern befaßte sich der Krankenhausausschuß der LVR mit einer Untersuchung der Verwaltung zur Situation von gut 500 überwiegend älteren LangzeitpatientInnen in 17 Stationen der westlich von Köln gelegenen psychiatrischen Klinik.
Im Langzeitbereich der Anstalt leben 60 Prozent der PatientInnen länger als zehn Jahre, ein Drittel sogar länger als 25 Jahre. Die LVR-Zahlen ergeben für die baulichen Bedingungen, die Einrichtung der Stationen und die Betreuung ein gleichermaßen desolates Bild. Die Räume in der Klinik sind, nach Planungsvorgaben aus dem 19.Jahrhundert, vor allem auf Kontrolle und Überwachung ausgelegt. Von den LangzeitpatientInnen stehen 155 Betten in Sälen, in denen 25 und mehr PatientInnen zusammengepfercht sind. Insgesamt 505 Betten sind untergebracht, zulässig wären nach der Krankenhausbauverordnung höchstens 316 Betten, unter Therapiegesichtspunkten sind allenfalls 285 Plätze vertretbar.
Auf einer Station müssen sich 30 Menschen einen Tagesraum teilen: Das sind 2,3 Quadratmeter für jeden. Auf den anderen Stationen verfügt eine Person selten über mehr als fünf Quadratmeter, auf denen er/sie sich außerhalb des Bettes bewegen kann. Platz für Rückzug und Alleinsein gibt es nicht.
Ein einziger Waschtisch für 30 Personen, so heißt es in der LVR-Untersuchung, sei ebenso unzumutbar wie zehn Waschtische auf engstem Raum nebeneinander oder eine gemeinsame Badewanne für 25 Personen. Um- und Ankleideräume sind in Bedburg-Hau unbekannt. Ihre Intimsphäre zu wahren, ist den Kranken unmöglich.
Defizite beim Personal kommen dazu. Wo eigentlich sieben PsychologInnen arbeiten müßten, wurde bisher eine einzige Kraft eingestellt. Im Bereich der SozialarbeiterInnen arbeiten halb so viele Mitarbeiter wie nötig. Von den Pflegestellen sind 20 Prozent unbesetzt.
Verbessern will man die Situation in Bedburg-Hau jetzt dadurch, daß insgesamt 190 PatientInnen in kleineren Einrichtungen und Wohngemeinschaften aufgenommen werden. Nur 24 solcher Plätze stehen im Kreis Kleve bisher zur Verfügung. Diese können aber nur finanziert werden, wenn der Kreis ein Viertel des Geldes aufbringt. Dazu ist er bisher nicht bereit. Ein Sofortprogramm für Bedburg-Hau mit Geldern vom Landschaftsverband, wie es die Grünen beantragten, wurde von den anderen Fraktionen abgelehnt. Überein kam man lediglich in der Absicht, 33 Wohnungen zu suchen, in denen PatientInnen aus den überfüllten Langzeitstationen untergebracht werden sollen. Die Klinik umbauen und damit auch die sanitären Anlagen verbessern, könne man erst, wenn die PatientInnenzahl verringert sei, sagte LVR-Sprecher Jacobi. „Ad hoc ändert sich gar nichts.“ Die Grünen im LVR wollen sich damit nicht abfinden: Zwar seien in den vergangenen Jahren Millionenbeträge in Bedburg-Hau investiert worden, doch seien die lange bekannten Mißstände, so Sprecherin Gibiec, „15 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete ein Skandal, der schnell beendet werden muß“.
B. Markmeyer
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