piwik no script img

Neues aus der Friedrichsstraße

■ "Herzlich willkommen" - eine gesamtdeutsche Familientragödie in 476 Folgen, vom Leben abgeschrieben von Lutz Ehrlich und Suse Riedel. 7.Teil

Da hatten es sich Helga und Wilfried gerade ein bißchen nett gemacht in ihrem Feldbett mit freiem Blick auf Stufenbarren und Schwebebalken, und dann das: Helga wollte schon der Schaum vorm Mund stehen, als sie mitkriegte, daß das gesamte Mobiliar für die Turnhalle aus dem VEB Fichte „Walter Ulbricht - astrein“ importiert worden war. Aber es kam noch schlimmer: Die Asbestkonzentration unter ihrer Matratze sei ungefähr so hoch wie auf einer Bremsscheibe nach Großglockner-Paßfahrt, erklärten ihr zwei freundliche, aber bestimmte Herren vom Amt für Umweltunwesen. Helga Schultze wurde samt ihrem Wilfried zwangsgeräumt und schluchzte: „Das hab‘ ich doch wirklich nicht verdient. Aber Neckar-Blüm macht's auch für uns Flüchtlinge möglich. Die wollten uns das mit Mallorca und dem Appartemang in Cala Ratjada zwar als Vorbereitungsmaßnahme auf Europa '92 - so nach dem Motto „Unser Haus soll größer werden“ - verkaufen, aber mir können die nichts vormachen: Diese Billigbuden hier - ohne Heizung und alles - sind auch im Winter für'n Appel und 'n Ei zu haben: Die haben alles angemietet, was sie kriegen konnten. Bloß, daß sie auf den Transferbus auch noch „Übersiedler“ schreiben mußten. Da war doch gleich klar, daß wir wieder wie damals in Varna behandelt werden, nämlich zweite Klasse. Ich sag‘ ja: Das Schlechteste ist gerade gut genug für uns.“

Helga und Wilfried waren also aus Kostengründen vom Arbeiter- ins Rentnerparadies entsorgt worden, während bei Schultzes in der Friedrichstraße eine polnische Leichtlohn -Renovier-Brigade die Folgen der tatkräftigen deutsch -deutschen Familienzusammenführung beseitigte. Über all dem Krach hätte Uschi fast das Klingeln des Telefons überhört: „Ach, Tante Klärchen, nee, die Helga ist nicht da, die ist nach Mallorca, nein, nicht mit Herbert - das ist nicht mehr mit den beiden - und was ist mit deinem Fuß?...Ach, sag bloß...Wo bist du reingetreten? Ach, eingetreten in die SPD? Diese neuen Ost-Sozis? Was, du kannst so nicht reden? Mit Briketts im Widerstand? Auf Vopos geworfen? Nee, nee, nee ihr habt doch so schon nicht genug zum heizen. Tante Klärchen, das hat doch selbst unser Momper gesagt, daß in Europa nicht jeder rumrandalieren kann, wie er will. Ach, der meinte nicht dich?...Ach so, euren Erich, na dann. Was willst du, die Adresse von Willy Brandt, nee, die hab‘ ich nicht.“

Seitdem Tante Klärchen in Jena zur neuen Ost-Opposition gestoßen war, fühlte sie sich irgendwie verfolgt. Und sie vermutete, daß eine Solidaritätsadresse an Willy Brandt oder wenigstens Egon Bahr - ihr beim nächsten Einsatz des Wasserwerfer-Kombinats schwer behilflich sein könnte. Tante Klärchens widerständlerisches Beispiel zeigte auch im Westen Folgen: Uschi Schultze opferte fortan ihren letzten freien Abend der Woche für das „Neue Forum West“ und den Fürbitt -Gottesdienst in der Passionskirche am Marheinekeplatz: „Geht meine Freundin Freya auch immer hin“, sagte sie.

Nichts Gutes gab es allerdings von Onkel Herbert zu berichten: Die BVG-Kontrolleursprüfung hatte er versiebt, weil er partout nicht einsehen wollte, daß er Schwarzfahrer nicht an Ort und Stelle gehörig zusammenschlagen durfte. Nunmehr betrieb er einen schwunghaften Nebenerwerb in der S -Bahn zur Friedrichstraße, wo er Stadtpläne von Warschau und Prag an Ostrentner als Präsent für die Enkel zu Hause verkloppte.

Erich Honeckers goldenen Worte - von wegen „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ - trafen wenigstens noch für den seit Tagen verschwundenen Ingo Schultze zu. Kurz, aber herzlich war dann auch das Wiedersehen mit seiner Mutter Uschi in einer kargen wie fensterlosen Ost-Baracke am Grenzübergang Staaken. Ingo Schultze, den die DDR-Grepos schon liebevoll „unser blaues Engelchen“ nannten, beichtete alles: „Also, ich wollte doch nur die Stromtrasse verhindern, und da hab‘ ich sie gesucht. War echt verschärft: Tagelang bin ich nur durch den Wald geirrt, immer weiter, und keine Trasse in Sicht. Und dann war da so ein Strommast, da bin ich rauf, mit dem Wimpel von Greenpeace. Und als ich den gerade oben anbinden wollte, da macht es knack. Als ich wieder wach geworden bin, da sehe ich auf einmal die Mauer von hinten. Ist doch echt Ost, Mama, oder was...?“ Fortsetzung folg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen