: Hauptmanns „Türken“
■ Eine Aktualisierung der „Weber“ in Oberhausen
Aus dem aufbegehrenden Bäcker wurde Bekir. Die Familie Baumert heißt jetzt Bayram. Die schlesischen Weber von 1844, die aus Verzweiflung über ihre Lage schließlich revoltierten, sind heute illegale Leiharbeiter: Der Regisseur Franz Winter hat eine Neufassung von Gerhart Hauptmanns Drama versucht. Das Schlesische und alles Zeitkolorit wurde weggekürzt, und die Szenen im Hause des Fabrikanten Dreißiger sind modernisierend redigiert, und einen Teil der Arbeiter-Partien hat Winter ins Türkische übersetzen lassen.
In einer Zeit der Ausländerfeindlichkeit, in der gerade der Haß auf die Türken in Arbeiterregionen sich immer wieder schroff artikuliert, hat das Theater Oberhausen einen bemerkenswerten Versuch unternommen. Da diese Bühne über kein eigenes Ensemble verfügt, wurde in Kooperation mit dem Theater Hagen und der freien Theatergruppe „Arkadas“ aus Köln das heiße Eisen angepackt: Nicht aus literaturhistorischem Interesse wurden die ansonsten kaum mehr auf der Bühne zu sehenden Weber reaktiviert, sondern weil das Stück eine brauchbare Folie hergibt für die Verhandlung von virulenten Konflikten, eine zeitgenössische Dramatisierung aber nicht in Sicht war.
Die Übertragung der Situation von Frühkapitalismus in Mittel- und Ostdeutschland auf gegenwärtige Mißstände an Rhein und Ruhr geht nicht ohne Reibungsverluste vonstatten, ist insgesamt aber besser gelungen, als man befürchten mußte. Insbesondere die türkischen Schauspieler sorgen für einen weithin sehr überzeugenden Theaterabend: ein Zug von verblüffender, bestürzender Authentizität in der vom Kunst -Künstlerischen so sehr besetzten Theaterlandschaft.
Thomas Pekny, der Ausstatter, konzipierte einen einzigen Raum für alle Szenen des Sozialdramas, einen mit Second-hand -Möbeln vollgestopften Gitterkäfig, in dem auch noch eine Theke Platz findet. Die enge Lebenswelt von Halil und Galip, Yilmaz und Besime ist zwischen doppelstöckigem Klappbett und Farbfernseher zutreffend charakterisiert - daß auch die Dreißigers in diesem Milieu angesiedelt werden, gibt weniger Sinn. Das Stück bezieht nun einmal, inhaltlich und dramaturgisch, von den Gegensätzen der Klassen her sein Spannungsmoment, nicht aus der Innenspannung der Seelen und der Entwicklung ausdifferenzierter Kunstfiguren.
Überhaupt scheint die Übertragung der Dreißiger-Figur und seiner Comptoir-Angestellten auf den heutigen Unternehmertyp, der sich Arbeitskräfte auch am Rande der Legalität oder gesetzwidrig, aber preisgünstig verschafft, ganz unzutreffend. Diese Art Arbeitsplatzbeschaffer dürfte in der Regel sein gutes Recht nicht mit Pastor und Polizeipräsident in der Hauptmannschen Umständlichkeit erörtern. Die Hungerrevolte, die in Franz Winters Inszenierung zum veritablen Aufstand wird, zitiert die kämpferischsten Momente des Ford-Streiks von 1972 und sogar die Figur des Agitators Baha Targün herbei. Die Befürchtung (oder Hoffnung) allerdings, daß die am untersten Ende der sozialen Skala so wirksam ihre Rechte einklagen wie relativ privilegierte Industriearbeiter, dürfte - zumindest vorerst
-Projektion bleiben: Der Sozial- und Medien-Staat ist auf den Umgang mit dem Unrecht besser vorbereitet als das wilhelminische Preußen vor 150 Jahren. Die Übersetzung des schlesischen Dialekts in eine fremde Umgangssprache erwies sich als der glücklichsten Kunstgriff der Bearbeitung, da teilt sich unmittelbar etwas von dem mit, was Gerhart Hauptmann wohl mit der naturalistischen Tragödie intendierte. Der Beifall für die Darsteller war herzlich, die türkischen Premierenbesucher feierten den Einzug ihrer Leute in das vom Staat besonders bezuschußte Stadttheater frenetisch - auch als ein Stück offiziöser Anerkennung, als einen gelungenen Akt der kulturellen Integration.
Frieder Reininghaus
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