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„Milder Heroinentzug“

■ Rechtsausschuß befaßte sich mit dem Suizid des U-Häftlings Hartmut K. / Pannen bei der Aufnahme

Eine Woche, nachdem sich der 27jährige drogenabhängige Gefangene Hartmut K. in der Untersuchungshaftanstalt Moabit das Leben nahm, sind die Hintergründe des Todes immer noch nicht aufgeklärt. Das wurde gestern im Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses offenbar, als Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) und der Leiter der Abteilung für Strafvollzug, Christoph Flügge, mit betonter Zurückhaltung zu dem Todesfall Stellung nahmen. Begründet wurde die „große Zurückhaltung“ damit, daß es sich hier um ein laufendes Ermittlungsverfahren handele. Wie berichtet, haben die Angehörigen von Hartmut K. Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung gegen Mitarbeiter des ärztlichen Dienstes und unbekannte Anstaltsbeamte erstattet.

Hartmut K. hatte sich in der Nacht vom vergangenen Mittwoch zu Donnerstag an seinem Zellenfenster erhängt. Obwohl es zuvor deutliche Hinweise darauf gegeben hatte, daß der drogenabhängige Mann unter Entzugserscheinungen litt, hatte der diensthabende Arzt des Haftkrankenhauses eine stationäre Aufnahme für nicht erforderlich gehalten. Justizsenatorin Limbach erklärte dies gestern damit, daß der Arzt bei dem Gefangenen lediglich einen „milden Heroinentzug“ festgestellt habe. Für den Arzt habe keine Indikation für eine stationäre Aufnahme vorgelegen, weil er bei dem Gefangenen weder „Kreislaufbeschwerden“ noch „Suizidabsichten“ registriert habe. Der Abteilungsleiters für Strafvollzug Flügge verwies darauf, daß der Arzt „sehr erfahren“ und mit der Aids- und Drogenproblematik „sehr vertraut“ sei. Die Justizverwaltung werde sich mit einer Bewertung seines Berichts zurückhalten, weil es sich hier um „eine medizinische Frage“ handele.

Flügge machte allerdings keinen Hehl daraus, daß bei der Aufnahme von Hartmut K. in der Untersuchungshaft am Tage vor seinem Tod einiges schief gelaufen war: So war der Anstalt nicht bekannt, daß der Mann dem Haftrichter beim Erlaß seines Haftbefehls zu Protokoll gegeben hatte, daß er in letzter Zeit Heroin genommen habe, sich sehr schlecht fühle und Angst habe, beim Aufstehen umzufallen (die taz berichtete). Als „ärgerlich“ bezeichnete Flügge auch, daß zwischen dem Gefangenen und dem zuständigen Gruppenleiter kein Aufnahmegespräch stattgefunden hat, obwohl er früh am Morgen eingeliefert worden war. „Hier können persönliche und organisatorische Unzulänglichkeiten vorliegen, die wir versuchen aufzuklären, um Schlüsse daraus zu ziehen“, sagte Flügge.

Keine Antwort bekam der AL-Abgeordnete Albert Eckert gestern auf eine grundsätzliche Frage, obwohl er sie wiederholte: „Wird es bei der Praxis bleiben, daß Gefangene, die unter einem 'milden Heroinentzug‘ leiden, in eine Zelle gesteckt werden, oder kommen sie ins Krankenhaus?“

plu

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