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Mit Soja-Sesamli die Blutwurst ausstechen

Eindrücke und Skizzen von der Kölner Freßmesse Anuga / Vollwertkost füllt vor allem die Auftragsbücher der Nahrungsmittelindustrie / Der Bio-Eßtrend wird von den Medien aufgebauscht / Die „Wiederkehr des großen Bratens“  ■  Aus dem Kochtopf B. Müllender

Köln (taz) - Da ist sie ja, diese kleine, unscheinbare Tiefkühltruhe der kleinen, mittelständischen Firma Luckhardt aus dem Süddeutschen! Sie ist prominent geworden, war sie doch in der vergangenen Woche bildschirmfüllend in der Tagesschau. Ihr Inhalt: gefrorene Bio- Vollkorn-Vollwert -Gesundheit mit Namen wie „Broccoli-Nuß-Torte“, „Blumenkohlmedaillon“, „Grünkern-Auflauf“, „Soja-Sesamli“. Der kalte Kasten ist Kronzeuge für den, laut Medienecho, besonderen Konsum-Trend des Jahres: Biokost, Vollkörneriges, Gesundes und Bewußtes für Zunge, Rachen, Magen und Gedärm. Davon jedenfalls ist immer wieder die Rede auf der Kölner Anuga, dem „Weltmarkt für Ernährung“ - der weltweit größten Freßmesse, die gestern zuende ging.

Luckhardt-Mann Rolf Groll, ein biederer Mann im Mittelalter, erzählt von seinen Außendienstzeiten zu Anfang dieses Jahrzehnts. Viele junge Leute, vor allem akademische, hätten nach Alternativen zu Messer und Gabel gefragt. Er sei zu seinem Chef gegangen, der habe aufgeheult: „Groll, du willst mich wohl kaputtmachen.“ Der arme Mann - seine Firma war eine Fleischwarenfabrik! Doch man änderte das Programm, rechtzeitig und renditeträchtig. Die Geschäfte gehen gut. Heute steckt eine Philosophie dahinter. Groll: „Die Jugend hat doch unseren Generationsfehler aufgedeckt: Fleisch, Fleisch und nochmal Fleisch nach dem Krieg. Heute sind die Leute unseres Alters krank, die Kliniken voll.“ Auch der Chef vertilge kaum noch tote Tiere. Eine vermutlich wahre Legende der Nahrungsmittelbranche. Nicht Spätkarrieristen aus der Körner-Szene sind es, die auf gesund und scheingesund umsteigen, sondern die herkömmliche Industrie, die Trends rechtzeitig gerochen und in Geschmack umgesetzt hat.

Kaum ein Prospekt, kaum eine Werbung, die nicht, mit Naturmotiven untermalt, salbungsvoll erläutert, wie edel man auf Konservierungs- und Zusatzstoffe, auf Zucker, Farbstoffe, Kochsalz, auf Gas sogar, auf Cholesterin, Laktose und Casein verzichte - „und unbestrahlt“, wie eine Firma herausstellt, logo.

Stattdessen wird eine Sinfonie in Vitaminkompositionen gesungen, mit naturbelassenen Ouvertüren, mineralienreichen Kontrapunkten und ausgewogenen Zutaten-Zugaben. Die werbewirksamen Inhaltsanalysen, die nie verraten, was trotzdem mitgemampft wird, ersetzen den gesunden Menschenverstand. „Hundefutter aus Neuseeland“ raunt eine eilende Besucherin, als sie an der schlicht verpackten Tüte mit den köstlichen Shiitake-Pilzen vorbeikommt. So sind die KonsumentInnen eben: Schein statt Sein entscheidet über Gaumenkitzel und Magenfüllung. Und die Dame entschwindet in die norwegische Abteilung, wo sich alles um das rosa Industrieprodukt namens Lachs dreht, jenen ehemals köstlichen Edelfisch, der heute gerade in Norwegen in gigantischen Zuchtfabriken am Fließband produziert wird wie, sagen wir, Katzenfutter.

Von vielen Medien wird sie zum Trend geredet, aber gerade die verantwortlichen Firmen bezweifeln die Bio-Welle. Tenor: Man mache schon immer in gesund, seit Jahren, aus Überzeugung. Etwa die Firma Biolan aus Sulzbach. „Bei Vollkornteigwaren“, darauf besteht Stand-Mann Engler, „sind wir in Deutschland die Pioniere“. Anfangs, vor zehn Jahren, hätten die „Nudeln nicht zusammengehalten, weil wir falscherweise Weichweizen genommen haben“. Dann kam der rechte Halt, viele andere Produkte, und heute „sind die Kapazitäten voll, wir kommen nicht mehr nach und bauen an“.

Die absolut identischen Produkte gibt es aus Sulzbach mit zwei Etiketten: die einen („biolan“) für die mittlerweile unvermeidlichen Bio-Ecken diverser Supermärkte, die anderen („bionatur“) für Reformhäuser und Naturkostläden. Eine Forderung, die von der zweiten Gruppe gekommen sei, sonst hätten die sich ohne diesen Etikettenschwindel nicht von der großen Konkurrenz absetzen können. Gut zu wissen für den nächsten Einkauf in diesem Fall.

Doch gilt der Umkehrschluß, daß Kaufhaus-Kost dieser Art stets das gleiche ist wie in den teureren Bioläden, leider überhaupt nicht. Soja und Tofu (beides weiter groß im Kommen), Leinsaat, Honiggesüßtes und kernig Körneriges, da sind alle liebend gerne irgendwie dabei, die Umsatzzuwächse sind riesig. Vor den vollen Mägen kommen die vollen Auftragsbücher.

Gesundkost ist ein Teilaspekt eines Teilmarktes, und nicht mehr als ein Trend von vielen. Aufgedunsen Edles, der Wachstumsmarkt der weitgehend sinnlosen Sportlernahrung, Althergebrachtes und küchenalltäglich Schwachsinniges bleibt und boomt genauso. „Portionsgerechtes Kaffeemehl im Filter verpackt“ oder der „sprechende Speiseeis-Verkaufsroboter“, die „computergesteuerte Ausrollmaschine für alle Teige“, der „nadellose Pökelspritzer“ oder „Popcorn für die Mikrowelle“: Früher aßen wir um zu leben, dann lebten wir um zu essen, heute essen wir um zu essen.

Im übrigen gilt es, laut Presseinformation, die „Wiederkehr der großen Braten“ zu feiern, weil auch „Spitzenköche mit der gutbürgerlichen Küche kokettieren“. Den Wettbewerb um die köstlichste Blutwurst gewann, natürlich, ein heimischer Metzger: „Der Anuga-Flönz-Cup bleibt in Köln“. Ob es jemals einen Tofu-Burger-Cup gibt, oder einen für Soja-Sesamlis? Eine Firma namens „Abtei“ wirbt so herrlich platt: „Bitte bleiben Sie gesund.“ So soll es sein. Nur wer gesund ist, ißt.

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