Gefahr von rechts? „Keine Panik!“

■ Marburger Faschismusforscher Reinhard Kühnl in Bremen / Multikultur als Strategie gegen rechts

Ich ahnte falsch. Es war nicht die siebenunddreißigste larmoyante Diskussion. Hinter den Titel seiner Veranstaltung „Gefahr von rechts?“ hatte Reinhard Kühnl, erklärt parteiloser Marburger Professor und Faschismusforscher, mit Bedacht ein Fragezeichen gesetzt.

„Ich vertrete wohl eine Minderheiten-Position“, wußte Kühnl, übrigens ein angenehm gekonnter Moderator, der mit den Republikanern keineswegs neue braune Horden in die Parlamente marschieren sah. Das war erstens überraschend und zweitens optimistisch, wenn auch diskussionsbedürftig. Weil nämlich die Demokratie breit in der Bevölkerung verankert und soldatische Tugenden endlich perdu seien, fand Kühnl: „Das demokratische Potiental ist viel größer, die Voraussetzungen sind heute besser als in der Weimarer Republik.“

Trotz der (neuen) Dauer-Arbeitslosigkeit seit 1974 verfüge die Mehrheit über ein nie gekanntes materielles Niveau, über Bildung und Qualifikation, wenn auch eine wachsende Minderheit an den Rand gedrängt werde. Und hoch wie nie sei auch das Bewußtsein, die Welt zu kennen und sogar, immer zu wenig, einwirken zu können - von Apartheid bis Regenwald. Atemberaubend, wie allein die Frauenbewegung nach 200 Jahren Ideologiegeschichte in nur 15 Jahren bei Millionen von Frauen Umbrüchen Bahn brach - „ein wirklich revolutionäres Ereignis!“

Daß angesichts einer CDU, die bis vor kurzem noch unter Süssmuth und Geißler emanzipatorische und demokratische Elemente zumindest wählerbewußt aufnahmen, verunsicherte Männer rechts von der CDU nach anderen Parteien suchen, läge auf der Hand, wie sich auch Berufssoldaten nach Gorbatschow sogar bei der CDU unwohl zu fühlen beginnen: 90 Prozent der Bundes

bürgerInnen glauben inzwischen, es gebe keine Gefahr aus dem Osten. Rechte Orientierung also aus Verlust an Heimat, Vertrautheit und auch an ideologischen Mustern.

Wenn auch, so Kühnl, die Reps-Wähler „Suchende, mehr Opfer als Täter sind, die auch für andere Lösungen ansprechbar sind“, höre für ihn bei den rechten Organisationen der Spaß auf: „Mit formal libertären Ansätzen kriegt man das nicht unter Kontrolle!“ Im Sinne des italienischen Verfassungsbogens von Christdemokraten bis Kommunisten gehörten die Rechtsparteien konsequent an den Rand der Parlamente gestellt und isoliert. „Nicht alles, was rechts von der CDU ist, ist faschistisch“, schränkte Kühnl ein, der sich von einem überfälligen Verbot der faschistischen FAP (eine einstimmige! Forderung des niedersächsischen Landtags) Rückwirkungen auch auf Reps versprach: „Nach der Gesetzeslage sind solche Kräfte ohnehin verboten, das gehört nur exekutiert!“

Dem Publikum, rund 60 meist junge Leute im Foyer der Angestelltenkammer, war die Losung „kein Grund zur Panik, sondern konsequent weiterarbeiten und natürlich die realen Probleme anpacken“ zum Teil zu optimistisch. Schon die CDU vollziehe doch massiv ausländerfeindliche Politik, und für die Probleme Wohnung, Drogen, Arbeit, Aussiedler, Stadtteile gebe es auch bei Linken, SPDlern, Grünen keine Antworten. Gerade jetzt, wo den DDR-Übersiedlern die Arme geöffnet würden, schlage doch die deutschnationale Orientierung voll durch. So konstant sind Weltbilder überhaupt nicht, gab Kühnl Geschichts-Nachhilfe: „Nach 150 Jahren Franzosenhaß und 'Erbfeindschaft‘ war das alles plötzlich ab '45 in weniger als einer Generation völlig weg, sobald es nicht mehr gebraucht und

geschürt wurde. Und bei Vollbeschäftigung waren die Probleme der Ausländerfeindlichkeit längst nicht so heftig wie heute: eine Frage der Lebenslagen.“

Dazu gehört auch die ideologische Seite. Anders als die VertreterInnen der 'Marxistischen Gruppe‘, die die Frage nach „nationaler Identität“ schlicht „zum Kotzen“ fanden, erinnerte Kühnl an den französischen Begriff „nation“ von 1789: „Das war etwas ganz Revolutionäres!“ Seit der Hochzeit des deutschkaiserlichen Militarismus und Nationalismus galt bis heute auch für die Bundesregierung: Zu „uns“ gehören die Deutschen, ausgemacht als sprachliche, kulturelle, naturgegebene Gemeinschaft - von Köln bis Kasastan. Türkische Menschen, die hier leben, gehören nicht dazu.

Die einzige ideologische Gegenstrategie, so Kühnl, sei die „multikulturelle Gesellschaft“: Zu „uns“ gehört, wer hier lebt und arbeitet - also auch die Ausländer - nicht dazu gehört, wer im Ausland lebt. „Das bedeutet: Schluß mit Wiedervereinigung und hat enorme Sprengkraft.“ Und um das erfahrbar zu machen, nütze ein gemeinsamer und erfolgreicher Streik mehr als 10 Seminare. Die Menschenrechte „als die ideologische und theoretische Gegenposition zum Faschismus“ als Modell der multikulturellen Gesellschaft zu entwickeln, sei Aufgabe der Linken: „Da darf man auch mal Lenin bemühen, der den Reichtum einer Gesellschaft in der Vielfalt ihrer Kulturen und Traditionen sah.“ Und an die Adresse der MG: „Was rauskommt, wenn man das nationale Bedürfnis ignoriert, kann man ja augenblicklich in der Sowjetunion beobachten.“

Was offen blieb: Was, wenn auch die CDU beginnt, die rechten Felder zu besetzen? Was, wenn die „Lebenslagen“ bei Dauerarbeitslosigkeit und Marginali

sierung nicht mehr das Niveau von vor 1974 erreichen? Was, wenn die optimistische Einschätzung der gesellschaftlichen Teilhabe - nach Anti-AKW, Frauen-, Friedensbewegung - schon wieder abbröckelt? Susanne Paa