: An die „Sickertheorie“ glaubt keiner mehr
Der AL-Wohnungspolitiker Michael Michaelis (MdA) zur Position seiner Partei zum freifinanzierten und zum sozialen Wohnungsbau ■ I N T E R V I E W
taz: Nagel will 35.000 Wohnungen, wieviele will denn die AL?
Michael Michaelis: Wir haben 31.750 Wohnungen für die nächsten vier Jahre vorgeschlagen, das ist noch stadtverträglich. Aber diese konkreten Zahlen nennen wir nur, weil das nach dem Haushaltsrecht erforderlich ist. Wichtiger als die Planzahl ist unserer Meinung nach, was für Wohnungen gebaut werden.
Und welche will die AL?
Wir wollen nicht, daß öffentliche Gelder für Wohnungen ausgegeben werden, die nicht mietgebunden sind, für die es keine Belegungsrechte des Staates gibt. Die Mehrzahl der von Nagel geplanten Wohnungen hat wahnsinnig hohe Mieten von bis zu 20 Mark pro Quadratmeter. Auch nach solch teuren Wohnungen gibt es natürlich eine Nachfrage. Aber wir finden es richtiger, gezielt mietsubventionierte Wohnungen zu bauen, für Leute, die die Hilfe des Staates wirklich nötig haben - also für Übersiedler, Familien und sozial Schwache.
Aber es wird ja argumentiert, daß in Eigenheime und Dachgeschosse zwar nur gut Verdienende einziehen, daß die aber dann Platz machen für Arme, die dann „nachsickern“.
Diese „Sickertheorie“ vertritt kaum noch jemand. Denn Leute, die in ein Dachgeschoß ziehen, die machen ja nicht ihre Wohnung frei für eine Aussiedlerfamilie oder einen Studenten. Sondern das gibt fünf Umzüge, bis das bei einer Bruchbude angekommen ist. Und weil jeder in der Umzugskette ein paar Quadratmeter mehr braucht, bleibt zum Schluß für den Studenten, der in die Bruchbude zieht, gar nichts mehr übrig. Das führt nur dazu, daß eine gutverdienende Mittelschicht mehr Wohnfläche bekommt.
Der soziale Wohnungsbau ist zwar für den Mieter halbwegs billig, kostet aber den Staat ein Schweinegeld...
Ja, das kritisieren wir auch. Deshalb wollen wir das Fördersystem auf Baudarlehen umstellen. Das hat zudem den Vorteil, daß die Miet- und Belegungsbindung länger gilt. Aber das schaffen wir nicht sofort.
Außerdem haben die Bauherren gar keine Lust, Sozialwohnungen zu bauen, weil sie da nicht soviel dran verdienen, wie beim sogenannten 3.Förderweg, wo die Mieten frei vereinbar sind.
Wenn man nicht soviel über den 3.Weg bewilligt, müssen die in den Sozialwohnungsbau ausweichen.
Die AL glaubt also, der Wohnungsnot mit weniger Wohnungen, dafür aber einem höheren Anteil von Sozialwohnungen Herr zu werden?
Ja, aber nicht nur. Neubau alleine beseitigt die Wohnungsnot nicht. Es ist es genauso wichtig, den Bestand zu sichern, also leerstehende Wohnungen wieder bewohnbar zu machen. Das erzählt Nagel zwar auch, aber dafür muß er auch was tun. Zum Beispiel den Bezirken für die Leerstandsbekämpfung mehr Stellen zur Verfügung stellen.
esch
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