: VELOMOBIL
■ Mit dem Fahrradbus über die Grenzen
Der Fahrradtransport ins Ausland - Alptraum von fast allen Fahrradfahrern, die ihr Rad mit in den Urlaub nehmen wollen. Wer kennt sie nicht, die Horrorstories von fahrradwerfenden Bahnbeamten und frustriert am Urlaubsziel wartenden Radtouristen, deren Räder mit der Bahn durch einen dummen Zufall ans andere Ende der Welt transportiert wurden. Wenn es um den fahrbaren Untersatz geht, unterscheiden Deutschlands Fahrradfahrer sich nur wenig von den autofahrenden Mitbürgern. Das Fahrrad geht über alles; jeder kleine Lackschaden wird nur unter schwerem Leiden zur Kenntnis genommen.
Seit diesem Jahr gibt es in der Bundesrepublik neue Hoffnung für die Radfahrgemeinde. Wie sollte es anders sein: Die Rettung kommt aus dem Fahrrad-Wunderland, den Niederlanden. Der „Allgemeine Deutsche Fahrradclub“ (ADFC) hat den Fahrradbus, der in seiner Vollendung Fahrradschlafbus heißt, unter dem Namen „Velomobil“ importiert. Das System ist verblüffend einfach: Die Räder reisen im Fahrradanhänger immer direkt mit. Im Anhänger ist einer dieser Fahrradständer montiert, wie er noch auf abgelegenen Provinzbahnhöfen zu sehen ist. Das Fahrrad steht mit dem Vorderrad nach oben in einer Rinne, links und rechts wird es mit Gummiriemen abgespannt und mit Schaumstoff gepolstert. Der Veranstalter garantiert einen schadensfreien Transport.
In der Bundesrepublik war 1989 das Probejahr für das Velomobil. Ein Bus fuhr einmal wöchentlich den ganzen Sommer lang von Berlin über Hildesheim, Hedemünden, Darmstadt nach Südfrankreich, ein zweiter von Hamburg über Bremen, Münster und durchs Ruhrgebiet an die französische Atlantikküste. An der französischen Grenze treffen sich beide Buslinien, und wer aus Berlin an den Atlantik will, der muß hier umsteigen und umgekehrt.
Wir wollen in Hedemünden einsteigen und müssen den kleinen Ort im Werratal erst mal auf der Landkarte suchen. Der Abfahrtsort ist sicherlich von keinem Radfahrer ausgewählt worden, denn ringsum gehen die Straßen hochprozentig bergauf. Als der Bus kommt, werden wir sofort von unseren Mitreisenden umringt, Räder und Gepäck werden begutachtet, Neuheiten und Uraltes hinter vorgehaltener Hand kommentiert. Alle sind sehr zurückhaltend. Noch sind es nur die Fahrräder, die uns verbinden. An jedem Halt, an dem neue Leute zusteigen, bildet sich dann eine Traube um den Fahrradanhänger, und alle überprüfen, ob dem eigenen Rad die Reise auch gut bekommt.
An der französischen Grenze müssen wir umsteigen. Hier wird auch der Bus umgebaut. Die Sitze werden zu Liegen umgeklappt, und wer nach Südfrankreich will, der kann dem Urlaub entgegenträumen. Der Bus nach Südwestfrankreich dagegen ist ein normaler Reisebus; Schlafen ist nur den besonders gelenkigen Spezialisten vorbehalten. Zum heillosen Durcheinander gerät das Umladen der Räder. Die reichlich genervten Busfahrer wünschen sich wohl nichts sehnlicher als das DIN-Volksfahrrad, denn bei einem Rad stört der vordere Gepäckträger, bei anderen die breiten Mountain-bike-Reifen oder ein eigenwilliger Tourenlenker. Vom alten Hollandrad mit Dreigangschaltung bis zur Rennmaschine ist alles vertreten. Wenn jetzt noch ein Liegerad oder Tandem verpackt werden müßte, wäre das Chaos wohl perfekt. Immerhin, für diese Räder sind Spezialaufhängungen im Anhänger vorhanden.
Irgendwann nachts verfahren sich die Busfahrer auf der legendären Pariser Peripherique, den nächsten Tag verbringen wir in Staus. Selbst schuld, wer an dem Tag in Urlaub will, an dem ganz Frankreich in die Ferien fährt. Eigentlich sollten wir morgens an unseren Zielorten sein. Als wir dann nachmittags in Saintes und St. Andre de Cubzac nördlich von Bordeaux ankommen, bleiben einige gleich auf dem Campingplatz - eine Übernachtung ist im Preis mit inbegriffen. Die anderen sind kaum zu halten und radeln sofort los. Für fünf von vierzig beginnt der Urlaub allerdings reichlich frustig: Ihre Räder sind kaputt. Ganz schön viele für einen garantiert schadensfreien Transport! Meist sind die Mäntel durchgescheuert, was sich wohl durch besseres Packen vermeiden ließe.
Für ein paar Wochen ist jeder sich selbst überlassen. Die einen fahren in die Bretagne oder über die Pyrenäen nach Spanien, andere bleiben in den Flußtälern von Dordogne und Lot, wieder andere versacken bei einer Tour nach Cognac gleich an der Atlantikküste. Besonders beliebt ist es, zu den Einstiegsplätzen des zweiten Busses nach Orange und in die Nähe von Montpellier zu radeln und dann mit dem anderen Velomobil zurückzufahren.
Bei der Rückfahrt ist die Atmosphäre sehr viel lockerer. Jeder ist voll mit Urlaubseindrücken, die er unbedingt loswerden will. Es sind höchst unterschiedliche Leute, die da im Bus sitzen: ein junges Ehepar mit zwei kleinen Kindern, die auf der Radtour im Anhänger mitgezogen wurden; ein paar Jungs, die meinen, im Kilometerklotzen ihre Erfüllung gefunden zu haben; ein älteres Ehepaar ist mit Mountain-bikes zum Papstbesuch nach Santiago de Campostela gepilgert; andere haben sich mit kürzeren Touren ohne göttliche Bestimmung begnügt. Im Bus wird die neueste Fahrradmode getragen, so manche können sich aber auch nach drei Wochen Urlaub noch nicht von den zerschlissenen Stoffshorts trennen. Bei der Rückfahrt bleiben alle Räder heil; die Busfahrer haben offenbar dazugelernt, wie man die Drahtesel am besten verstaut.
Zu Hause auf dem Schreibtisch liegt schon ein Fragebogen vom ADFC zwischen den Urlaubskarten. In der Reiseabteilung wird bereits die nächste Urlaubssaison vorbereitet. Dann sollen wöchentlich mit mehreren Bussen auch neue Ziele in anderen Ländern angefahren werden.
Joachim Quandt
Kontaktadresse: ADFC, Postfach 107744, 2800 Bremen 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen