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Ein Hauch Glasnost in DDR-Medien

Erste Live-Diskussion im realsozialistischen Fernsehen / ZuschauerInnen durften telefonisch Politiker befragen / Selbst der Chef vom 'Schwarzen Kanal‘ will kein Kalter Krieger mehr sein / Überall Leserbriefe, der „Dialog“ beherrscht die Zeitungen  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Die Zuschauer des DDR-Fernsehens müssen am Donnerstag Abend beinahe aus ihren Sesseln gefallen sein. Nicht nur, daß sich der neue Staatsratsvorsitzende Egon Krenz in der sonst so drögen 'Aktuellen Kamera‘ von einem kritisch nachhakenden Arbeiter fragen lassen mußte, warum ein Videorecorder oder Farbfernseher siebeneinhalbtausend Mark kostet. Im Anschluß daran durften die ZuschauerInnen sogar einer Talk-Show beiwohnen und führenden Politikern telefonisch Fragen stellen. Und erstmals trugen die Funktionäre vor laufender Kamera auch verschiedene Standpunkte vor. Teilnehmer der Live-Diskussion waren der SED-Parteitheoretiker Otto Reinhold, der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, das Zentralkomiteemitglied Otto Hahn und der Wirtschaftswissenschaftler Max Schmidt. Selbst Chefagitator Karl-Eduard von Schnitzler vom 'Schwarzen Kanal‘ stellte sich der TV-Debatte. Nach Ablauf der offiziellen Sendezeit konnten die Zuschauer sogar noch den Kommentar von Reinhold hören, der es „toll“ fand, zum ersten Mal im Fernsehen diskutieren zu können, ohne daß der Gesprächsverlauf schon vorher festgelegt worden wäre. Einhellig stellten die Funktionäre zuvor in Aussicht, daß jeder Bürger einen Reisepaß erhalten könne. Dresdens Bürgermeister Berghofer unterstrich, daß eine Gleichbehandlung - unabhängig etwa von Verwandtschaft im Ausland - nötig sei. Chef-Agitator Schnitzler versicherte einem Anrufer, daß er nie ein „Vertreter des Kalten Krieges“ gewesen sei. Fehlende Reisemöglichkeiten seien Schuld der Bonner Regierung.

Ein Stück Parteidiskussion in einer Art, wie sie „vor zwei Wochen noch nicht denkbar gewesen wäre“, schrieb gestern das 'Neue Deutschland‘ (ND). Das Zentralorgan titelte einen Bericht über ein Treffen von Arbeitern mit Krenz mit „Offenheit, Besonnenheit und Kostruktivität“. In einem weiteren Kommentar wird dann unter der Überschrift „Wie wir ihnen gefielen...“ die westliche Berichterstattung über den Führungswechsel in der DDR heftig kritisiert: „In den Redaktionsstuben machte man sich ans Miesmachen. Ernsthafte Kenntnisnahme, wenigstens ein bißchen Analyse, ein paar Tropfen der vielzitierten Objektivität - alles nicht gefragt. Gespür für Neues - Fehlanzeige.“ Die DDR-Blätter feiern dagegen euphorisch den „Dialog im ganzen Land“ ('ND‘), und vertiefen die Forderung nach einer „lebensnahen Berichterstattung“ in den Medien.

An den „lieben Genossen Egon Krenz“ gerichtet, schrieb die 'Junge Welt‘, „die Genossen der Parteiführung gehen, na ja, doch mit einem gewissen Mißtrauen der Bürger ins Rennen“. Es sei „zuviel geschwiegen, verdeckt worden“. Der stellvertretende Kulturminister Klaus Höppke lobte in der selben Zeitung die kritische Funktion der Medien. Dem staatlichen DDR-Fernsehen legte er nahe, sich mit dem „Medienfuchs“ Stefan Heym und seiner Kritik „produktiv auseinanderzusetzen“. Die 'Berliner Zeitung‘ kommentierte, Krenz habe eine langerwartete Einschätzung der Dinge gegeben: „In vielen Punkten stehen sie nicht gut, das ist realistisch und selbstkritisch betont worden.“ In vielem werde jetzt aber ein neuer Weg beschritten, eine Wende eingeleitet, um den Sozialismus voranzubringen und die SED wieder glaubwürdig zu machen.

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