piwik no script img

Der „Kanzler von Essen“: Nach ihm nur Scherben

■ Essens SPD: Trotz absoluter Mehrheit in desolater Situation

Essen (taz) - Die Telefone in der Geschäftsstelle der Essener SPD stehen nicht mehr still. „Verrat“ und „Wählerbetrug“ - die Basis schimpft, Parteibücher gehen zurück. Der umstrittene Ex-Oberbürgermeister Peter Reuschenbach, der seine Wiederwahl wegen acht fehlender SPD -Stimmen nicht annahm, hat seinen Abgang effektvoll inszeniert. Die GenossInnen in der größten Ruhr-Stadt stehen da wie einst die Bürger von Schilda, hatten sie doch mit „P. R. für Essen“ (Wahlwerbung) am 1. Oktober noch einmal knapp die absolute Mehrheit geschafft. Jetzt soll ein Sonderparteitag „eine schonungslose Bestandsaufnahme der Lage der Partei herbeiführen“. Bisher allerdings haben sich nicht einmal die acht Abtrünnigen zu erkennen gegeben.

Reuschenbach hatte entscheidend zur Polarisierung in der Essener SPD beigetragen. Unter der Amtsführung des „Kanzlers von Essen“, so seine Gegner, stürzten der frühere Fraktionsvorsitzende und der auf mehr Integration bedachte SPD-Vorsitzende Peter Heinemann. Reuschenbach pfiff auf die in der Gemeindeordnung festgeschriebene Repräsentativfunktion seines Amtes, widersprach öffentlich Fraktionsbeschlüssen, beschimpfte seine Leute oder ignorierte sie. Ende 1988 entzog ihm die eigene Fraktion das Vertrauen, stellte ihn aber Anfang 1989 mangels Alternativen wieder als OB-Kandidaten auf. Dafür versprach der Multifunktionär, sein Bundestagsmandat aufzugeben. Das will er nun behalten.

Die durch den Wahl-Coup unverhofft zur Oberbürgermeisterin gekürte Annette Jäger will nun amtieren, „wie es die Gemeindeordnung vorschreibt“, Polarisierungen vermeiden und ihre Arbeit „mit der gesamten SPD-Fraktion“ koordinieren soweit es sie gibt.

bm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen