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„Dialog vor der totalen Zerstörung“

Juan Gomez Martinez, Bürgermeister von Medellin, zum Dialog mit den Kokain-Bossen  ■ I N T E R V I E W

Der Bürgermeister einer der gewaltsamsten Städte der Welt

-2.713 Morde gab es allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres - spricht sich für einen Dialog mit den Drogenbossen aus. Der 56jährige entkam selbst schon einmal nur knapp einem Attentat der Kokainbarone.

taz: Herr Bürgermeister, Sie haben sich für einen Dialog mit den Kokainbaronen ausgesprochen. Warum?

Juan Gomez Martinez: Die Regierung führt mit einigen Guerillagruppen einen Dialog. Ich habe gesagt, es muß mit allen Gruppen gesprochen werden. Ich habe nicht gesagt, daß die Regierung verhandeln sollte. Nein, sie sollte Gespräche führen, um zu sehen, was es für Ideen gibt, um das ganze Problem auf irgendeine Art und Weise zu lösen. Ich möchte, daß der Dialog beschleunigt wird und nicht, daß mit dem Dialog erst begonnen wird, wenn schon alles zerstört ist.

Was halten Sie von der Legalisierung des Kokains?

Das ist eine andere Möglichkeit zur Lösung des Problems in Kolumbien: die Legalisierung der Drogen weltweit. Wenn die Konsumentenländer legalisieren würden, fiele der Preis. Der Vertrieb könnte dann kontrolliert werden, und der Drogenhandel wäre kein so fabelhaftes Geschäft mehr. Dort, wo die Drogen konsumiert werden, fließt am meisten Geld. Die großen Verteiler befinden sich zum Beispiel in den USA. Der Krieg aber wird nicht dort ausgetragen, sondern Kolumbien auferlegt.

Wenn es Krieg geben soll, dann muß es einen totalen, weltweiten Krieg geben. Wenn es sich dagegen um die Legalisierung der Drogen handeln sollte, muß diese ebenfalls in allen Ländern durchgesetzt werden. Aber der regional begrenzte Krieg, der uns in Kolumbien erklärt wurde, darf nicht länger auf unseren Rücken ausgetragen werden, der muß uns abgenommen werden.

Haben Sie schon mit Mitgliedern des „Kartells von Medellin“ gesprochen?

Nicht direkt. Wohl haben die Drogenhändler mir über Mittelsmänner die Botschaft übermittelt, daß sie zu Gesprächen bereit seien.

Es macht stutzig, daß seit dieser Bereitschaft zum Dialog die Gewalt in Medellin stark abgenommen hatIch habe zum Dialog aufgerufen, und tatsächlich haben die Drogenhändler über eine Mitteilung an den Unterhauspräsidenten des Kongresses verlautbaren lassen, daß, da der Bürgermeister Medellins die Möglichkeit eines Dialogs aufgezeigt hat, die Bombenattentate in Medellin eingestellt würden.

Die Kokainbosse versprachen als Zeichen ihres guten Willens, in Medellin für Frieden zu sorgen und Morde zu verhindern. Teilen Sie etwa Ihre Macht mit den Drogenbossen?

Daß diese zumindest scheinbare Macht sich zeigen kann, ist ein heikler Punkt, der uns allen zu denken gibt. Wir müssen diese Machtdemonstration auf jeden Fall ablehnen, sie erschrickt mich. Trotzdem glaube ich, daß wir vor der totalen Vernichtung zu einem Dialog kommen müssen. Um nur einen Tod zu verhindern, bin ich zu allem fähig.

Was bezwecken die Kokainbarone mit den Attentaten und Morden in den letzten Wochen?

Ich fürchte mich fast, es zu sagen. Die Drogenbosse antworten auf eine Kriegserklärung. Kriege bewegen sich nicht nur in eine Richtung - darum gibt es auch bei uns Tote.

Und warum ermordeten die Drogenbosse dann Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galan?

Wie kann man so sicher sein, daß die Drogenbosse für den Tod Luis Carlos Galans verantwortlich sind? Luis Carlos Galan ist ein Opfer der Gewalt in Kolumbien. Welcher Gewalt? Ich weiß nicht, welche Gruppe ihn tötete.

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