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Hölderlin als Text-Musik-Collage

■ Theater am Leibnizplatz: Rainer Iwersen sprach, und das Leonardo-Quartett spielte

Das Theater am Leibnizplatz war am Freitag abend voll bis auf ein paar Plätze. Und das, um ein MINGLE-MANGLE ganz besonderer Art zu erleben, eine Collage von Hölderlingedichten und Musik von Beethoven bis zum deutschen Schlager. Ein Abend, der nicht nur von den Vortragenden, der auch von den Zuhörern Anstrengung verlangt. Die Musiker des Leonardo-Quartetts kommen auf die Bühne, Johannes Prelle (1. Violine), Gabriele Sassenscheidt (2. Violine), Joachim Krist (Viola), Klaus Marx (Violoncello), dann Rainer Iwersen. Das Leonardo-Quartett beginnt zu spielen, Rolf Riehms „tempo strozzato“, gewürgte Zeit. So mag sich Hölderlin im Turm gefühlt haben. Rainer Iwersen versucht, uns gegen die „gewürgte Zeit“ etwas zuzurufen, ein Gedicht Hölderlins, sein letztes aus dem Turm, „Die Aussicht“. Aber wir hören nicht(s). Nicht nur der von Hölderlin so ersehnte herrschaftsfreie, überhaupt kein Dialog ist mehr möglich. Was wir da jetzt an Musik hören, ist schon längst nicht mehr Riehm, es ist ein großes Durcheinander, ein Gewirr von Anspielungen. Die Marseillaise ist unter diesen musikalisch -babylonischen Turm gemischt. Hölderlins Erinnerung an die Zeit, in der noch Hoffnung war? Oder Erinnerung daran, wie früh die Hoffnung schon erwürgt

war? Doch dann ein Sprung: Rainer Iwersen - rezitiert, das klingt so gravitätisch und pathetisch und erinnert mich an Lyriklesungen aus meiner Jugend, als die Dichter noch als Olympier gefeiert wurden, und grade weil an diesem Abend die Götter noch so oft genannt werden, ist Rezitation das grundfalsche Wort. Also: Er spricht.

KOMMT EINE FREM

DLINGIN, SIE

ZU UNS, DIE ERWECKERIN,

DIE MENSCHENBILDENDE STIMME.

Und bruchlos daran eine Stelle aus einem ganz anderen Gedicht, darin jedoch ein FREMDLING: der Gesang. Und weiter, weiter, ehe der Fremdling, die Fremdlingin in mir sich hätten setzen können. Ich kann nicht folgen. Oder doch, auf eine ganz andere als buchstäbliche Weise? Ich verstehe, ohne immer zu begreifen, ich nehme beinahe unbewußt auf. Nur was? Jetzt noch bin ich dabei, es zu entwirren. Ich lasse mich treiben auf dem von Rainer Iwersen zusammengefügten virtuellen Gedicht von / über Hölderlin.

Da setzt wieder die Musik ein, parallel zum Gedicht. Das heißt, beides wird zu einem Gedicht, nebeneinander herlaufend, ineinander verzahnt. Ein paar Fetzen Beethoven, Bruchstücke, angerissen wie die Gedichtzeilen. Die Musik nimmt den Faden auf, er

zählt weiter, sie illustriert nicht, sie erklärt nicht. Und doch macht sie vieles bewußt.

Neben mir saß dieser Zeitung „beliebtester Musikliebhaber und -kritiker“, wie sie ihn kürzlich nannte, Mario N. Er erkannte, im Gegensatz zu mir, jede Musik nach dem ersten Ton, und sie weckte daher in ihm einen ganzen Hof von Assoziationen, die mit seiner Kenntnis der Musik zusammenhängen. Er erzählte mir hinterher, wie er die collagierte Verbindung vor allem mit Beethoven empfunden hat: Ihm wurde, ohne daß er den Lyrikbildern bewußt hätte folgen können, plötzlich deutlich, daß Hölderlin nicht, was er als Verdacht immer in sich getragen hatte, ein mystischer Schwafler von allerhand Gottheiten war; er erlebte, durch die Musik, also von der anderen Seite her, warum Rainer Iwersen Hölderlin immer schon mit dem späten Beethoven zusammendachte: die gleiche ästhetische Bearbeitung des Materials. Aber manchmal erklärte sie doch, die Musik, wenn auch ironisch gebrochen. So z.B. wenn das Hölderlinsche „Vaterland“ mit ein paar Takten der deutschen Nationalhymne und der Marseillaise verbunden wird: Da springt ins Auge, welch (häufig politisch kalkuliertes) Mißverständnis es war (ist), es als ein nationales, gar nationalistisches zu begreifen.

Oder an einer anderen Stelle, die einen großen Heiterkeitsausbruch provoziert. Da zitiert Iwersen

DRUM AN DEN ISTHMOS KOMM! DORTHIN; WO DAS OFFENE MEER RAUSCHT

AM PARNASS ...

und leise, doch unverkennbar erklingt eine ganz andere deutsche Griechenlandsehnsucht, die von Sonne, Wein und Touristenglück träumt: ein deutscher Schlager.

Aber die Ironie entsteht nicht nur durch die Brechung in der Musik: Sie steckt auch in den Gedichten (oder in deren Montage). So setzt Iwersen hinter die Zeile MICH ERZOG DER WOHLLAUT aus dem Gedicht „Da ich ein Knabe war“:

NICHT WILL WOHLLAUTEN

DER DEUTSCHE MUND

ABER LIEBLICH

AM STECHENDEN BART RAUSCHEN

DIE KÜSSE.

Doch bei aller Ironie: Immer deutlicher wird im Fortschreiten der Collage das Zuschnürende, die verlorene Hoffnung, das Scheitern und Verstummen, bis, nach dem Schweigen in Weberns Musik, wir wieder bei Riehms „tempo strozzato“ sind, um dann, am Ende, doch noch mit einem Funken Hoffnung entlassen zu werden:

UND WAS DU HAST IST

ATEM ZU HOLEN.

Und nun sitze ich hier, mit Iwersens Collage und einer Hölderlinausgabe, lese, verliere mich, suche, mich zu erinnern an die Assoziationen, und merke dabei einen Mangel: Warum ist im Programmheft nur die Textcollage abgedruckt und nicht auch die Musikbruchstücke, die Stellen, wo sie eingefügt, wo sie parallel zu hören waren, also das ganze von Rainer Iwersen und Nicolas Schalz montierte „virtuelle“ Hölderlingedicht?

Christine Spiess

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