: Mutter krank, Vater auf Arbeit
■ FamilienpflegerInnen springen in Notfällen ein / Ärzte müssen Betreuung verschreiben, aber Krankenkassen zahlen nur unwillig / Ausbildung nicht möglich
Auf ihre Kollegen vom Denkmalschutz können die Familienpfleger nur neidisch sein: Denkmalpfleger sind vergleichsweise gut bezahlt und angesehen, ihre Qualifikation klar vorgeschrieben. Zudem erfordert die Pflege von Denkmälern im Unterschied zur Familienpflege keine Verhandlungen mit den Krankenkassen.
Schlechte Bezahlung, keine Ausbildungsmöglichkeiten und ein in der Öffentlichkeit noch diffuses Berufsbild sind die Hauptprobleme der rund 50 Familienpfleger und -helfer in Berlin. Dabei bestreitet keiner, daß ihre Arbeit notwendiger denn je ist: Familienpfleger der Sozialstationen springen ein, wenn zu Hause Mutter oder Vater erkranken und plötzlich keiner mehr den Haushalt führen und die Kinder betreuen kann. In dieser Notlage kann der Arzt außer Medikamenten auch eine „Familienpflegerin“ verordnen , die qua Ausbildung auch die Krankenpflege übernimmt. Eine Hilfe, die vor allem alleinerziehenden Eltern, zu 83 Prozent Frauen, zugute kommt. Doch so richtig kommen die „Haushaltshilfen“ - wie sie abwertend im Sozialgesetzbuch genannt werden - bislang nicht zum Zuge.
Das liegt zum einen an den Ärzten, die von dieser Möglichkeit oft nichts wissen. Seit einige Tagen verschickt das Paritätische Bildungswerk mit Unterstützung der Berliner Ärztekammer und der Senatorin für Frauen, Familie und Jugend, Anne Klein, Informationsmappen an über 1.800 Arztpraxen. Erste positive Reaktionen der Ärzte signalisieren Interesse und weiteren Bedarf an Information und Beratung. Weitaus weniger aufgeschlossen zeigen sich die Berliner Krankenkassen. Im Unterschied zu anderen Bundesländern sperren sie sich hartnäckig gegen eine reibungslose Finanzierung der Familienpflege. Denn eine Verschreibung des Arztes verpflichtet die Krankenkasse noch keineswegs zum Zahlen. Die Familienpflegerin in der zuständigen Sozialstation muß ersteinmal über Umfang und Dauer ihrer Arbeit in jedem Einzelfall verhandeln. Aber nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Qualifikation von FamilienpflegerInnen gestaltet sich in Berlin schwierig.
Ziel der konzertierten Aktion von Paritätischem Bildungswerk und Senatorin Klein ist die Erweiterung der Familienpflege auf alle 68 Sozialstationen in Berlin. Bislang können nur elf auf ein solches Angebot zurückgreifen. Und selbst die haben Schwierigkeiten: Der externe Pflegedienst in Charlottenburg zum Beispiel hat sich auf häusliche Kinderkrankenpflege spezialisiert. Familienpflege wird hier im Rahmen eines Projekts für HIV -infizierte Kinder angeboten. Qualifizierte Bewerber für eine bereits ausgeschriebene Stelle muß der Verein mit der Lupe suchen. In Berlin gibt es keine Ausbildungseinrichtung und folglich auch keine ausgebildeten FamilienpflegerInnen. Diesem Mangel will Senatorin Klein nun in Verhandlungen mit ihrer Amtskollegin Sybille Volkholz, zuständig für Berufsausbildung, abhelfen.
anb
Weitere Informationen gibt die Freie Sozialstation Kreuzberg unter der Telefonnummer 691 51 01.
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