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Methadon und Spritzen aus dem Automaten

Automatisierte Hilfe für Drogensüchtige: In Rotterdam ist der erste computergesteuerte Dosierautomat für Methadon in Betrieb gegangen / In der niederländischen Stadt nehmen 1.000 Menschen am Programm mit der Ersatz-Droge teil  ■  Aus Rotterdam Moritz Dobler

Methadon aus dem Automaten? So wie Kaugummi und Zigaretten, Cola und Kaffee? Nein, soweit ist es noch nicht. Aber seit gestern erhalten etwa 200 Drogensüchtige des Rotterdamer Methadonprogramms „Baan“ ihre tägliche Ration aus einem computergesteuerten Dosierautomaten, dem Methadon Uitgifte Systeem, kurz: MUS.

In Rotterdam nehmen etwa 1.000 Menschen an einem Methadonprogramm teil, in den Niederlanden insgesamt ungefähr 6.000. Die Ausgabestelle „Baan“ des Bouman Huis ist eine von sieben in Rotterdam.

Bisher wurde die Ersatzdroge Methadon in der Gemeindeapotheke hergestellt, dort in Plastikbecher gefüllt, mit Deckeln und Namensetiketten versehen und dann zu den Ausgabestellen transportiert. Beim MUS entfallen viele dieser Arbeitsschritte, denn die Gemeindeapotheke liefert das Methadon in Zehnliter-Containern direkt an die Ausgabestelle.

Droge per Knopfdruck

Die Bedienung des Methadon-Automaten ist einfach: Auf dem Bildschirm des Computers erscheint der Name des Klienten oder der Klientin, Geburtsdatum, Dosis, sowie einige Zahlen und Kodes. Nach dem Drücken einer Taste läuft aus dem Automaten die vorher festgelegte Menge Methadon in das Becherchen: zwischen ein und 50 Kubikzentimeter, im Schnitt 17. Technische Spielerei?

„Nein“, meint Rien Klaassen, Koordinator des Drogenteams vom Bouman Huis, der die Idee hatte. „Ich will die dumme Routinearbeit da raushaben.“ Es wird Arbeitszeit gespart, es müssen keine Listen mehr geprüft und nicht mehr für das landesweite Drogeninformationssystem und für das der Stadt Rotterdam, genannt RODIS, erstellt werden.

Fred Verbaken vom Rotterdamer Junkiebund ist von MUS nicht begeistert: „Das ist doch keine Sozialarbeit mehr. Es wird immer unpersönlicher. Irgendwann kann man Methadon so wie eine Krokette aus dem Automaten ziehen.“ Doch ist Jeanette Verveen, Psychologin beim „Concentratieburo Drugs“, die an der Entwicklung des Systems beteiligt war, nicht besorgt, daß der Kontakt mit den Klienten unpersönlicher wird: „Diese Kontakte“, sagt sie, „finden ja außerhalb der eigentlichen Methadonausgabe statt.“ Das liege auch an den Klienten.

Im Prinzip, so auch Klaasen, erleichtere der Automat die Arbeit mit den Menschen und die Möglichkeiten des Gesprächs: „Jetzt kann jemand zum Bahnhof gehen und gucken, wie es da aussieht“, sagt er. „Als ich MUS vorschlug, sagte ich der Gemeinde: 'Ich will nicht, daß ihr anfangt, an Arbeitsplätzen herumzukürzen.'“

Die Kostenersparnis könnte beträchtlich sein: In der Gemeindeapotheke werden pro Jahr rund 5.000 Liter Methadon hergestellt. Ungefähr 22 Prozent werden aber nicht abgeholt. Dieses Methadon muß vernichtet werden, weil Umfüllen zu umständlich wäre. Auch für das nicht verabreichte Methadon muß die Ausgabestelle 1,50 Gulden (ca. 1,40 Mark) pro Becherchen bezahlen. Geliefert ist geliefert.

Wenn MUS in ganz Rotterdam zum Einsatz käme, also sieben Automaten aufgestellt würden, könnten die Materialkosten um ungefähr eine Viertelmillion Gulden pro Jahr oder 50 Prozent sinken. Dabei sind die Kosten des Automaten von 46.215 Gulden (ca. 42.000 Mark) bereits auf vier Jahre umgelegt. MUS werde auch für andere Städte interessant sein, meint Klaassen, zumal Methadon dort oft teurer sei als in Rotterdam. Schon jetzt kriege er viele Anrufe, auch aus dem Ausland. „Ich sehe Platz für ungefähr vierzig Automaten in den Niederlanden.“

Die Einwände fegt er vom Tisch, zum Beispiel auch den, das System biete nicht ausreichenden Datenschutz und Schutz vor Diebstahl des Methadons.

„Sowohl das Methadon als auch die Data-packs werden abends im Tresor eingeschlossen.“ Data-packs, das sind austauschbare 30 MB-Festplatten für PCs. Das MUS hat davon zwei - zur Sicherheit und zur Kontrolle.

Betrug ausgeschlossen

Ob mit dem System gepfuscht werden kann? „Nein“, sagt Klaassen, „eigentlich nicht.“ Die ausgebende Person könne theoretisch zwar einmal die Dosis erhöhen, aber das käme ja abends bei der Abrechnung raus.

MUS wurde zusammen mit Scarabee entwickelt, einer Firma, die sich auf Automatisierung von Industrieanlagen spezialisiert ist. Das Bouman Huis und Scarabee haben vor kurzer Zeit schon ein anderes Produkt entwickelt, den Spritzenumtauschautomaten: oben die alte Spritze rein, unten kommt die neue im Plastiktütchen raus. Der Vorteil: Die Schwelle, saubere Spritzen zu besorgen, sinkt, und die Spritzenumlaufmenge bleibt konstant. Heute werden in Rotterdam nur 90 Prozent der Spritzen umgetauscht, das heißt, daß zehn Prozent weggeschmissen werden. In absoluten Zahlen: 20.000 Spritzen pro Jahr.

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