: Hat der große Festival-Schlag getroffen?
■ Ein Kommentar von Bernhard Gölz, 1. Konzertmeister im Philharmonischen Staatsorchester
Neue Interpretationen und Hörerfahrungen alter Musik sind die Forderungen und der Spiegel jeder Zeit, und man muß mit Sympathie die heutigen reformerischen, nach Authenzität strebenden „alternativen“ Aufführungspraktiken verfolgen. Sie vermitteln auch mir befreiende Impulse im Hören und eigenen Nachvollziehen. Im Zahlenspiel des Festivals könnte man demnach die Reizzahl „1789“ durchaus ernst hinterfragen: Freiheit wovon, Freiheit wofür - auch in der Musik! Stattdessen bietet der Festivalprospekt ein unverbindliches Sammelsurium leicht konsumierbarer Kleinkunst. Das clevere Marketing läßt ahnen, woher der Wind weht, und die Regierenden, die das skandalöse finanzielle Desaster mit zu verantworten haben, werden sicher die richtigen Worte finden (Imagepflege und Wirtschaftsförderung), um das Festival auch hinterher zu rechtfertigen.
Nun zu meinen persönlichen Festivalerlebnissen, die nicht sehr zahlreich sind, weil geld-und zeitraubend: Eröffnungsveranstaltung am 29.9 vor dem Rathaus. Das heißt, ich erlebe sie aus der Sicht der jungen demonstrierenden Menschen, die - unter Polizeieinsatz - ihren Unmut gegen einen versnobten elitären Kunstbetrieb Ausdruck verliehen, einen Kunstbetrieb, der ihnen auch noch ihre bescheidenen aber sicher kreativen Kulturfreiräume streitig macht.
Natürlich gab es im Programm auch „Rosinen“ wie das Schlachthauskonzert von Michael Gielen, das mir leider entging, und so wählte ich eine andere Veranstaltung mit der M(L)ottozahl 1989. Leider wurde diese ( Romeo und Juliette) aus technischen Gründen abgesagt. Diese Absage läßt Organisationsdilettantismus vermuten, ebenso die kurzfristige Umlegung des Beethovenkonzerts in den Dom. Hier war ich drauf und dran, meine Karte zurückzugeben, weil ich das Desaster ahnte. Mein mutiger Entschluß, im Dom auszuharren, hatte dann zwei Resultate: a) Beruhigung des Profis in mir über die Tasche, daß die Stargeigerin auch nur mit Wasser kocht, und ich weiterhin zu den alten großen Beethoveninterpreten aufschaun darf. b) Beunruhigung beim bruchstückhaften assoziativen Hören einer großartig dargebotenen c-moll Sinfonie. Trotz miserabler akustischer Verhältnisse war ich hier wirklich „getroffen“.
Ich frage mich allerdings be-troffen, ob kulturelles Niveau in Bremen nur von außen zu bekommen ist. Sollte nicht die Kulturpolitik einer Großstadt vielmehr danach trachten, statt aufgesetztem Kulturimport das hier Gewachsene ( z.B. ein altes berühmtes Traditionsorchester!) mit größerer Anstrengung und Liebe zu hohem Standard zu bringen? Das eigene weit gefächerte Kulturspektrum zeigt das wahre Profil einer Stadt. Bernhard Gölz
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