piwik no script img

GEFÜHLE IM BILD

■ „La Boheme“ in der Deutschen Oper

Die Oper ist ein großes Gefühl, und nie geht es um weniger als um Liebe und Tod. Und dies in einer Ausschließlichkeit und Absolutheit, die den palavernden Kreisen, die heutzutage eine Beziehung zieht, seltsam ankommt. Der gefühlsgesittete Anstand, dessen wir uns heute zumeist erfreuen, geht gerade noch auf die ironische Distanz zum Biegen und Brechen einer Musik, die Ton gewordene Haushaltsführung von Emotionen ist, die sich nicht kontrollieren lassen. So falsch, sentimental und verlogen dies heute auch klingen mag: die Oper bewahrt die Erinnerung daran und setzt die Sehnsucht danach frei.

La Boheme beginnt mit der Liebe im Himmel und endet mit dem Tod im Keller. Schritt für Schritt, Akt für Akt inszeniert Götz Friedrich diesen abfallenden Prozeß, beginnend in der luftigen Höhe eines Dachgeschosses mit großen, lichten Fenstern, unter denen sich Rodolfos und Mimis Hände berühren und in Sekundenschnelle die einzig wahre Liebe auf den ersten Blick entbrennt. Eine Liebe, die sich in der Stadtmitte, im Trubel eines Weihnachtsmarktes, feiert. Am Stadtrand, vor einer Kaschemme, im verzweifelten Streit ein letztes Mal zusammenfindet. Und mit dem Tod Mimis im spärlich beleuchteten Keller endet.

Diese Geschichte und die zerreißende Musik, die sie hörbar macht, versetzt Fridrichs in eine Schüttelwelt unter Glas: Es schaut auf der Bühne aus wie in Rothenburg ob der Tauber im Glühweintaumel einer frohen Weihnacht, gekreuzt mit dem morbiden Schick einer Kreuzberger Hinterhofetage vor der Luxussanierung. Es werden nette, überbordende Postkartenbilder aufgebaut, die nur den Nachteil haben, die von der Musik geweckte Sehnsucht zu zerstören, indem sie sie bruchlos bedient. Dem Herzfett wird solange zugebuttert, bis das alles zu schön ist, um wahr zu sein. Nur Hollywood ist prächtiger, nur Neckermann verlogener.

Höttges

„La Boheme“ heute wieder in der Deutschen Oper um 19.30 Uhr mit Eva Johannsen als Mimi.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen