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Prämoderne oder was?

■ Viel Nostalgie im musikalischen Spätherbst

Blickt man/frau auf das Konzertprogramm im November, dann könnte sich die Frage stellen, ob wir uns tatsächlich kurz vor dem Übergang in die 90er Jahre befinden. Oder anders: ob wir uns nicht manchmal etwas vormachen mit der Redensart von der schnellebigen Zeit, in der wir leben. Es scheint Musikstile zu geben, die das Konservative in uns haarscharf auf den Punkt bringen, die Sehnsucht nach dem Bewährten und Romantischen kultivieren. Wie anders ist es zu erklären, daß uns in der ersten Monatshälfte gleich vier Künstler/Gruppen beehren, die auch schon vor zehn oder mehr Jahren ihr Publikum gefunden haben? Da ist zunächst das irische Urviech Miko Russell aus Doolin: eine Kultfigur der irophilen Deutschen, die in den 70ern massenweise in die irischen Pubs einfielen. Der fast Siebzigjährige kommt diesmal mit dem Akkordeonspieler Tony MacMahon sowie den Fiddler Paddy Glackin (4.11., Rathaus Stuhr). Nur drei Tage später taucht in BHV die bretonische Band Bleizi Ruz auf, deren Ursprünge bis 1973 zurückgehen (Folk-Treff). Noch mehr Jahre auf den Buckeln haben die schottischen McCalmans seit einem geschlagenem halben Vierteljahrhundert(!) singt und spielt sich diese Trio nun schon durch Balladen, Shanties und zarte Liebeslieder - viel fürs Herz mit dreistimmigem (Männer-) Gesang (9.11., Neues Gynasium OL). Da wollen die Iren auch nicht zurückstehen und schicken mit den Wild Geese ebenfalls eine ihrer ältesten Gute-Laune-Kapellen ins Norddeutsche (11.11., Pumpwerk WHV). Bei soviel Nostalgischem ist man über den einen oder anderen neueren Ton schon froh, auch wenn man zu Tracy Chapman extra nach Hamburg fahren muß (10.11., CCH). Oder, daß endlich auch mal eine akustische DDR-Combo den Weg zu uns findet (nein, nicht über Ungarn, sondern ganz regulär auf Tour!): Jams heißt das Quintett aus Ostberlin, das mit 'Neuer Volksmusik‘ zum Tanz aufspielt (14.11., Lagerhaus). So richtig modern wird's dann aber erst in der zweiten Monatshälfte: z.B. mit dem 'Short Distance Psycho Folk‘ (!?) der Krefelder M. Walking on the Water (17.11., Gala), die man/frau ebensowenig verpassen sollte wie zwei Tage später den bayrischen 'Trulla Trulla'-Doktor Georg Ringswandel - ein verspäteter Einstieg in den Fasching (19.11., Gala)! Schade nur, daß es am gleichen Abend Konkurrenz gibt, wenn die 'Arab Soul Rebels‘ von Carte de Sejour aus Frankreich das hoffentlich gut gefüllte 'Modernes‘ zum Toben bringen. Am gleichen Ort findet dann auch der vermutliche Höhepunkt des Monats statt: mit Femi Anikulapo Kuti kommt der Sohn des legendären Fela Kuti aus Nigeria zusammen mit seiner Band Positive Force - sein jazzig angehauchter Afro-Beat könnte uns den Weg in die 90er Jahre zeigen (30.11.).

Jüs

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