HEDONIC ENGINEERING

■ Die Protagonisten der Bewußtseinserweiterung für jedermann, Robert Anton Wilson und Michael Hutchinson sind in Berlin

Das menschliche Bewußtsein - unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 1985. Mit seiner ein Mann starken Besatzung dringt der Biocomputer M. Hutchinson in Galaxien vor, die so nie zuvor ein Mensch gesehen hat.

Schneller Vorlauf: 1989, Pressevorführung des „Mindseye“ im „Relax/Berlin“. Licht pulst rhythmisch vor den Augen, synthetische Töne im Ohr. Zunächst entstehen auf der inneren Leinwand reine Farben, strahlend in sich permanent verschlingenden Mustern. Sobald sich die Pulsfrequenz ändert, spielen sich dramatische Veränderungen ab: Ich sehe einen konzeptualisierten dreidimensionalen Raum, werde von Farbflächen überschwemmt, in eine Tiefe gerissen. Während die Simulationen weiter auf dsas Hirn niederprasseln, hat sich der Körper tief entspannt, ist gleichzeitig sehr leicht geworden. Das Denken ist sich klar bewußt - auch seiner Verwurzelung im Körper. Irgendwann tauchen fotografische, mir fremde, Bilder auf. Sie liegen hinter der Ebene der Gedanken, ob es vergessene Erinnerungen sind, kann ich nicht feststellen. Endlich lassen die optoakustischen Rhythmen nach, Nachwellen umspielen den inneren Blick. Wie eine sich um die Längsachse drehende Spindel komme ich aus dem Hyperspace katapultiert zurück ins Tagesbewußtsein. Ich fühle mich angeregt durchmassiert, Fleisch & Geist scheinen harmonisiert & aufmerksam. Die Stimmung unter den Mitreisenden ist - ungewöhnlich - freundlich & gelöst. Und niemand kann behaupten, er/sie habe diese 45-Minuten-Tour in dieser Dauer empfunden: Die Zeit war verschwunden.

Schneller Rücklauf: die Sechziger. Brion Gysin & Ian Sommervielle entwickeln die „Dream-Machine“. Ein mit Löchern versehener Zylinder wird auf einen Plattenteller gesetzt & eine Glühbirne hineingehängt. Durch die Drehungen des Plattentellers entstehen Lichtblitze, die auf die geschlossenen Lieder geworfen werden. Die „Dream-Machine“ ist billig, jeder kann sie sich bauen (was sie von den heutigen Geräten unterscheidet). Die dabei auftretenden Visionen sind denen des „Mindseye“ vergleichbar. Ich habe mich immer gewundert, daß in der Diskussion um die „mind machines“ niemand mehr diese einfache, praktische Maschine erwähnt.

Bewußtseinsverändernde Drogen sind en vogue. Man macht sich auf, die letzten Grenzen zu durchstoßen. Die inneren Astronauten machen sich auf, das Bewußtsein zu kartographieren.

William S. Burroughs & Genesis P. Orridge beschäftigen sich in den ausgehenden Siebzigern ausgiebig mit unterschiedlichen Methoden der Kontrolle & wie man mit (einfachen) Technologien auf das Hirn Einfluß nehmen kan. Bei den Konzerten von „Throbbing Gristle“ spielen Überlegungen zum Wechselverhältnis von Hirnwellen & Rhythmus eine Rolle. Gen P. Orridge macht auf die „black box“ von Patterson aufmerksam, die durch Elektrosimulation des Hirns die Endorphin-Ausschüttung anregt & so die Bekämpfung von Süchten ermöglicht (prominenteste Heilerfolge: Pete Townsend & Keith Richards). Als einer der ersten „realen“ Cyberpunks entwickelt P. Orridge die Techniken zur Bewußtseinserweiterung durch Light/Sound-Stimuli weiter - & endet schließlich als erster Protagonist der ACID-House -Welle in England: Endlose, monotone Rhythmen, das in den 60ern entwickelte Stroboskop & die Einnahme des Entaktogens „MDMA“ (Dope für zwischenmenschliche Beziehungen). (Ist nicht so „hart“ wie LSD - d.S.) Dies ist eine Entwicklung, die auf der „Straße“ abläuft, Hutchinson beobachtet andere Ebenen.

Seine Augen scannen das Feld der Neurowissenschaften. Und dort, wie in nahezu allen Wissenschaftsbereichen, werden neue, revolutionäre Entdeckungen gemacht. Bei Rattenversuchen entdeckten amerikanische Wissenschaftler, daß es möglich ist, das Hirn & somit seine Leistungen sowohl quantitativ als auch qualitativ zu verbessern. Eine reizintensive, stimulierende Umgebung ließ die Gehirne der Ratten - entgegen allen überkommenen Lehrmeinungen - wachsen & gedeihen. Lernen (die biochemische Neuprägung neuronaler Schaltkreise) sei bis ins hohe Alter möglich.

Andere Entdeckungen wurden gemacht. Die Arbeiten der einzelnen, an der Neurowissenschaft beteiligten Disziplinen begannen, sich interdisziplinär zu beeinflussen. Eine Welle von Enthusiasmus fegte durch die Lager. Zum Beispiel stellte man fest, daß es sich bei den Bahnen im Gehirn, die für die Leitung von Lust bzw. Erinnerung/Gedächtnis zuständig sind, um die gleichen handelt. Das Hirn programmirt sich selbst, Neu-Erfahrenes wird durch Lust belohnt. (Beispiel: Das Phänomen der tiefen Befriedigung, das sich einstellt, wenn ein schwieriges Problem plötzlich & unerwartet einfach eine Lösung findet.)

Auch dieser „Gedankenblitz“ erhielt durch wissenschaftliche Untersuchungen eine neue Beschreibung. In allen Gebieten des Cyberpunk & der Neurowissenschaften stößt man auf ihn: Ilya Prigogine. Der belgische Nobelpreisträger entdeckte, daß sich Strukturen „offener Systeme“ bei Energiezufuhr in einen Zustand „höherer Ordnung“ flüchten. Das plötzlich auftretende Chaos, das Zerfallen der vorherigen Ordnung, sei die normale Bedingung, bevor sich eine solche neue Meta -Struktur etablieren könne. Prigogine behauptet, daß viele der physiologischen, rhythmischen oder zyklischen Vorgänge im Körper, ja ganze Lebewesen, solche „dissipative Strukturen“ seien, die durch ständige Zufuhr von Energie, Information & Materie in einem labilen Gleichgewichtszustand gehalten werden, der ihnen ein sensibles Reagieren auf geringste Innen- & Umwelteinflüsse ermöglicht.

Diese drei Entdeckungen sollen genügen. Anhand ihrer konnte man die These entwickeln, daß es möglich ist, das menschliche Gehirn durch intensive Stimulierung dazu zu veranlassen, sich selbst zu entwickeln, neu zu programmieren, in einen Zustand höherer Ordnung „zu flüchten“ - & daß dies ein lustvolles Unternehmen sei. (Stimmt nur teilweise aus meiner Erfahrung: Das Zerbrechen der alten, durch Eltern und Gesellschaft anerzogenen Programme ist äußerst schmerzhaft, denn diese garantierten bis jetzt das Bio-Überleben. Werden diese mittels Mind -Technik, Drogen, Yoga oder Meditation zerstört, entsteht erstmal ein furchtbarer Horror, da das Individuum noch keine Erfahrungen der höheren Ordnung besitzt. Wenn mehr Energie durch den gesamten Organismus fließen soll, müssen zuerst die Leitungen, d.h. der Körper verstärkt werden; fließt zuviel an Energie durch einen verkrampften Körper, ist der Verlust des „gesunden Menschenverstandes“ oder Tod die größte Gefahr. Man sollte also wissen, womit man „spielt“ d.S.)

Hutchinson beschreibt in seinem Buch „Megabrain“ in dem niedlichen naiven Pragmatismus eines (behavioristischen) Amerikaners, wie er sich auf die Suche machte nach Forschern, die Maschinen entwickelten, um die Hirnleistungen zu verbessern. Wie in allen Grenzbereichen stößt er auch hier auf die merkwürdigsten Abenteurer: akademisch gebildete Leute, die sich die Teile für ihre Maschinen vom Schrottplatz holen, düstere Händler, die mit großen Worten unfähige Maschinen verkaufen usw.

Joseph Light, einer der Erfinder von Geräten zur transkutanen (durch die Schädeldecke) Stimulation, berichtete ihm von Bereichen der Sicherheits- & Verteidigungsbehörden, die sich tatsächlich mit Forschungen auf dem Gebiet des mentalen Trainings befaßten. Er hörte Gerüchte „von dem großen mentalen Rüstungswettlauf zwischen den Supermächten, (er) hörte von Schlachten, die nur durch psychische Kräfte & die sie erzeugenden bioelektrischen Felder ausgetragen werden sollten. (Er) hörte von Versuchen, das Bewußtsein bestimmter Staatsoberhäupter zu verändern, indem man sie von weitem mit elektronischen Sendern bestrahlte.“

By the way: Ein wichtiges Gebiet der neueren Forschung sind die elektro-magnetischen Felder. Bei Cyberpunk-Autor W. Gibson gibt es Bomben mit EMP (electro-magnetic pulsation), die die gegnerischen elektronischen Geräte durcheinander bringen. In der Forschung heißt das PEMF (pulsierende elektro-magnetische Felder). Die Israelis haben ein riesiges PEMF-Beobachtungsgerät gebaut, angeblich, um Atombomben -Versuche der feindlichen Anrainer-Staaten zu beobachten. Bei immer mehr Zusammenbrüchen hochtechnologischer Geräte (Hubschrauber, Computer, Lenkwaffen, etc.) überprüft man die Einwirkung der PEMF. Und der Begriff des „Elektrosmog“, der spielt da auch mit rein.

Ein anderer Erfinder, Robert Monroe (das von ihm entwickelte Gerät „Hemi-Sync“ arbeitet unter Verwendung zweier Tonbänder mit differenten Frequenzen der Synchronisation der beiden Gehirn-Hemisphären zu), wußte noch wesentlich Erstaunlicheres zu berichten. Er war zur Entwicklung von „mind-machines“ durch eine „Out-of-body -experience“ gekommen. An dem inzwischen entstandenen „Monroe Institute of Applied Sciences“ (MIAS) wird mit Hilfe des „Hemi-Sync“ professionell versucht, die anderen Bewußtseinszustände der „außerkörperlichen Erfahrung“ zur Regel zu machen. Das MIAS besitzt eine Forschungsabteilung, deren Mitglieder - eine Gruppe fortgeschrittener Astralreisender - seit mehreren Jahren in Verbindung mit einer Reihe intelligenter Lebensformen stehen. That's America. (By the way: Der Meister, der die PR für Uri Geller machte, ein hohes Tier bei der NASA, sagt, es gäbe auf der Erde etwa 10.000 Menschen, die sich ohne Schwierigkeiten im Weltall bewegen würden.)

Sehr schneller Vorlauf: Vision: „Und überall gibt es öffentlich AVIs (Akustisch-visuelle Integratoren): in den Bars, in den Wartezimmern der Ärzte, in den Flughäfen, in den Kantinen großer Firmen & Fabriken, in öffentlichen Toiletten - Miniatur-Musikboxen für den Geist. Man setzt Brille & Kopfhörer auf, & schon schaltet sich ein zehnminütiges Programm ein: ein Kreatrivitätsschub, ein bißchen entspannte Gelassenheit, ein Wachstumskick für die Dendriten oder ein klassisches Werk zum Erreichen der Transzendenz. Und manchmal, beim Starren in das computergesteuerte High-Tech-Geflimmer, wird jemand ein Deja -vu-Erlebnis haben“ (Hutchinson), wird sich den in die Gene eingebrannten Erinnerungen der Traumata seiner Vorfahren gegenübersehen.

Die Kids auf der Straße verkoppeln die verschiedenen Simulationsgeräte, schwarze „Hyperspace-Zentren“ entstehen, wo du dir den ultimativen Kick holst; Drogen & Maschinen bearbeiten das Bewußtsein. Andere liegen in Isoliertanks im permanenten „blank-out“ der sensorischen Deprivation & lassen mediale Kräfte walten. (In den letzten 20 Jahren unternahm Charles Honorton, Leiter der Psychophysical Research Laboratories in Princeton, New Jersey, etliche Versuche, um die Evidenz von PSI-Phänomenen zu überprüfen. Bei den „blank-out„-Experimenten ergab sich, daß die Versuchspersonen bei 50 Prozent der Experimente erfolgreich abschnitten - diese Ergebnisse sind statistisch hochsignifikant). (Genauso signifikant sind solche durchgeknallten Leute wie Charles Manson, der mal sagte: „Das Wesen des erweiterten Bewußtseins ist Angst, höllische Angst“. Und der hatte recht: Schießt man normale neurotische Leute auf eine höhere Bewußtseinsebene, werden die verrückt; es sei denn, sie hätten vorher den schon von den alten Griechen propagierten Satz befolgt: Erkenne dich selbst. Nur wer seine neurotischen Strukturen erkannt & bewußt verarbeitet hat, der kann sich getrost in den inneren Kosmos schießen (lassen). Den inneren Trip aber einfach nur als reinstes Vergnügen darzustellen, wie es der Autor macht, ist verantwortungslos gegenüber „Unwissenden“ - d.S.)

Wieder andere haben sich vollkommen mit den Maschinen vernetzt & befinden sich im finalen Simulationsraum des Cyberspace: „Er steckte einen Stift in seine rechte Schläfe, & plötzlich ist sein Gesichtsfeld erweitert, als ob seine Augen sich um den Kopf herum erstreckten & ein drittes Auge obenauf besäßen. Er ruft die Karten ab, die er im Computer gespeichert hat, & an der Innenseite seines Computers beginnen Displays wie Stroboskope aufzuflackern. Sein Kopf ist zu einem ROM-Würfel geworden“ (Walter Jon Williams).

Und schließlich werden sich einige gemeinsam vernetzen. Myron W. Krueger, Informatik-Professor an der University of Connecticut, entwirft seit 1969 „interaktive Enviroments“. Seine elektronischen Dome lesen den/die Eintretenden & agieren auf die gesammelten Daten betreffs Reizbarkeit etc. mit computerunterstützter Bildproduktion. Du kannst in Echtzeit in einen Film hineinagieren. Zusammen mit deinen Freunden ein elektronisches Gesamtkunstwerk gestalten.

Wiederum andere werden von den Regierungen gefangen gesetzt & in elektronischen Zellen (Brille vor Augen & Hörer auf den Ohren) übelsten Stimulationen ausgesetzt. Im Zustand äußerster Deprivation werden den Reizhungrigen machtvolle Worte der Wahrheit eingespeist. „Kranke“ (Foucault) werden „gesund“ gemacht. Traum-Junkies hängen in Isolationstanks in gesättigter Drogenlösung vernetzt mit Video- & Ton -Synthesizern...

Das klingt nach Science Fiction? Science Fiction wuchert bereits mitten unter uns. Neben Hutchinsons Buch „Megabrain“, das solche visionären Ausblicke anfeuert, gibt es auf dem deutschen Markt noch Werner Piepers/Lutz Bergers „Brain-Tech“, das sich etwas realistischer & wissenschaftlicher mit den Maschinen auseinandersetzt. In beiden Büchern werden jede Menge dieser Maschinen vorgestellt & Kontaktadressen angegeben. Die Bewußtseinsindustrie macht sich auf den Weg. „Yü-Gung kann Berge versetzen.“

In Deutschland gibt es neben dem „Relax/Berlin“ noch in Frankfurt, Düsseldorf, Göttingen & Köln Megabrain-Studios. Brain-building - der Sport im Real-time-Zeitalter. Kontraindikationen sind angezeigt: bei schweren psychotischen Störungen, Epilepsie (& der medialen Variante: photischer Epilepsie). Bei Psychopharmaka-Behandlung & Drogeneinnahme ist Vorsicht geboten: Die Wechselwirkungen sind unbekannt.

Ob die Maschinen tasächlich bewußtseinserweiternd wirken, die Hirnstruktur in eine „höhere Ordnung“ flüchten machen, sei mal dahingestellt. Die anregenden, harmonisierenden Effekte jedoch kann ich bestätigen. Der „Megabrain„-Autor Michael Hutchinson & Bewußtseins-Cyberpunk Robert Anton Wilson werden am heutigen Freitag & am morgigen Samstag tiefere Einblicke gewähren, die einzelnen Maschinen vorstellen & daran probieren lassen.

„Und wenn der kritische Diskurs - als wäre im klassischen Europa nur eine Frankfurter Schule zustande gekommen - an dieser Gebrauchsanweisung nicht rüttelt, sondern bei geschlossener Deckelhaube über seinen Untergang durch Bewußtseinsindustrie philosophiert, ist schwerlich zu helfen. Viel produktiver wären Synergien zwischen Mensch & Maschine. (...) Seit dem Ersten Weltkrieg zwingen Geschwindigkeit & Beschleunigung (um mit Virilio zu sprechen) zur Einrichtung spezieller Trainingslager, die den langsamen (motorisch, sensorisch & intellektuell) Leuten neue Wahrnehmungsformen beibringen & ihnen die Mensch -Maschine-Synergie nachgerade verordnen. (...) In den Zwischenzeiten, also wenn der Krieg nicht in Echtheit läuft, übernehmen wahrscheinlich Rockkonzerte oder Discotheken die Rolle solcher Trainingslager für Wahrnehmungen, die die Wahrnehmungsschwelle unterlaufen“ (Friedrich Kittler).

R. Stoert

Heute um 20 Uhr: Vortrag von Robert Anton Wilson. Sa, 28.10., 10 bis 17 Uhr: Seminar mit R.A.W. und Michael Hutchinson, Zeit-Los Zentrum, Akazienstr. 27, 1/62.