: Mehr Lohn und weniger Arbeit
■ Interview mit türkischen Arbeitern zur 35-Stunden-Woche / Gegen Sonderschichten und Überstunden / Alleine bei Ford mehr als 80.000 Überstunden pro Jahr / Wochenende muß frei bleiben / Arbeitshetze in den Betrieben hat zugenommen
Yussuf, Osman und Muhammed kommen aus der Türkei, Bekir und Abdullah aus Kurdistan, Peter aus dem Schwabenland. Alle arbeiten in verschiedenen Metallbetrieben (Ford, Bosch, Siemens, Osram, Krone etc.) als Band- oder Montagearbeiter. Sie und viele andere türkische und kurdische Kollegen haben sich vor über einem Jahr zu einer überbetrieblichen „Arbeitsgruppe“ zusammengetan und streiten seitdem in ihren Metall-Betrieben für mehr Lohn, weniger Arbeit und gegen Überstunden und Sonderschichten. Alle sind Gewerkschaftsmitglieder oder Vertrauensräte, die Mehrheit obendrein im Betriebsrat. Seit längerer Zeit organisieren sie Aktionen gegen Wochenend-Schichten und Überstunden, die vor allem bei Frauen auf positive Resonanz stoßen. Anläßlich des IG-Metall-Gewerkschaftstages sprach die taz mit ihnen über Arbeit, 35-Stunden-Woche und Gewerkschaftsstrategie. Zu dem Gespräch erschienen leider keine Frauen.
taz: In der Tarifrunde 1984 wurde der „Einstieg in die 35 -Stunden-Woche“ geschafft, im Tarifvertrag von 1987 die 37 -Stunden-Woche vereinbart. Was hat sich seitdem für Euch in den Betrieben verändert?
Yussuf: Bei Osram arbeiten 2.600 Leute. Bis vor zwei Jahren gab es nur zwei Schichten. Dann wurde die dritte Schicht eingeführt, die hat sich seither stark ausgeweitet, und jetzt fangen sie auch mit vier Schichten an. Dies läuft hauptsächlich über Zeitvertragler: Die arbeiten sieben Tage in der Woche und kriegen dann Freischichten. Und das Geld ist nicht viel mehr geworden: Wenn du eine Schicht mehr machst, kriegst du knapp 200 Mark mehr, mehr als 2.500 Mark netto kriegt auch einer mit vier Schichten nicht. In der ganzen Zeit wurde das Arbeitstempo massiv gesteigert: Früher haben wir in der Schicht 100 Kartons gemacht, jetzt machen wir doppelt soviele - mit der gleichen Besetzung. Und in den nächsten drei Monaten soll die Produktion noch mal um 12 Prozent gesteigert werden! Durch die ganze Entwicklung ist die Krankenrate auch gestiegen, im Sommer waren es 14 Prozent, im Moment sind es 12 Prozent.
Abdullah: Obwohl wir bei Ford Arbeitsschichtverkürzung haben, hat sich die Stückzahl sehr stark erhöht. Wo wir früher vielleicht 200 Stück in der Schicht gemacht haben, machen wir heute 280 oder fast 300. Bei Ford/Berlin spielten Überstunden schon immer eine große Rolle. Aber in der letzten Zeit ist es viel schlimmer geworden: Für den Rest des Jahres sind alle Samstage verplant und von der Einigungsstelle genehmigt.
Bekir: Im Bosch-Siemens Hausgerätewerk ist in den letzten zwei Jahren die Zahl der Beschäftigten bei etwa 3.000 fast stabil geblieben. Die Produktion ist etwa um 40 Prozent gestiegen; vor zwei Jahren haben wir eine Million Waschmaschinen produziert, dieses Jahr sind im Moment 1.350.000 Maschinen geplant. Gleichzeitig fangen sie jetzt mit dem Export von Arbeitsplätzen an: bis jetzt etwa 250, bis zum Jahresende sollen es nochmal 150 sein. Durch die zunehmende Arbeitshetze sind die Krankenzahlen drastisch gestiegen. Im Sommer hatten wir durchschnittlich 23 Prozent Krankenstand. Zum Teil sind die Leute echt fertig, zum Teil machen auch viele krank, weil sie es einfach nicht einsehen, sich kaputtzuschinden, so eine Art passive Aktion.
Muhammed: Mit der Arbeitszeitverkürzung haben wir zwei Jahre erst mal flexibel gearbeitet: 40-Stunden-Woche plus Freischichten, wann es dem Meister paßt. Seit einem Jahr haben wir jetzt die Arbeitszeitverkürzung pro Woche für jeden Arbeiter durchgesetzt. Letzten Endes haben es die Frauen im Frühjahr '88 mit einem „wilden“ Streik durchgesetzt: Die wollten einen festen Tag für alle frei haben. Die Geschäftsleitung hat das nicht akzeptiert, da sind alle zusammen in das Betriebsratsbüro gegangen und haben ihre Forderung auf den Tisch gelegt. Seither wird die Arbeitszeit wöchentlich gleichmäßig für alle verkürzt. Auch wir haben viele Probleme mit Sonderschichten. Im Jahr müssen wir so viele Sonderschichten fahren, daß wir im Durchschnitt pro Woche wieder auf 40 Stunden kommen.
Yussuf: Außerdem haben wir vor der Arbeitszeitverkürzung in Drei-Schicht-Betrieben die halbe Stunde Pause bezahlt bekommen, das ist jetzt meistens weggefallen.
Bekir: Und das Wichtigste: Unsere Löhne sind die letzten drei Jahre fast gleich geblieben, aber die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, vor allem die Mieten! Wir wollen 500 Mark monatlich mehr für alle. Wir wollen keine prozentuale Lohnsteigerung, sondern einen Festbetrag. In Prozenten krieg‘ ich 100 Mark mehr, mein Meister 200, dann muß er mich noch mehr unterdrücken. In den Betrieben ist der Unmut groß.
Was haltet ihr von der nächsten Tarifkampagne?
Abdullah: Klar wollen wir nur 35 statt 37 Stunden arbeiten, aber nicht, wenn wir mehr Nachtarbeit und Sonderschichten machen müssen. Außerdem brauchen wir 500 Mark mehr, weil sonst viele zu Überstunden gezwungen werden.
Peter: Der Kampf gegen den Samstag als Regelarbeitstag ist ein Ablenkungsmanöver der IG Metall. Die Unternehmer sagen klipp und klar, sie brauchen den Samstag, um Produktionsspitzen abzudecken, um Wartungsarbeiten machen zu lassen usw., als Puffer. Wenn uns die Gewerkschaft an dieser Front in den Kampf schickt, so lenkt uns das zum einen von den brennenden Lohnfragen ab, zum anderen können sie uns dann einen „Kompromiß“, der darin besteht, die Unternehmerforderungen zu erfüllen, als „Kampferfolg“ verkaufen. In der Druckindustrie haben sie es uns ja schon vorgemacht, da sind jetzt zehn Samstagsschichten pro Jahr möglich! Rauskommen wird ein Stufenplan zur 35-Stunden -Woche, den wir mit noch mehr Überstunden, Flexibilisierung und schlechteren Arbeitsbedingungen werden bezahlen müssen.
Yussuf: Die Gewerkschaft hat selbst Zahlen veröffentlicht, daß die Arbeitszeitverkürzung fast vollständig durch Überstunden aufgefangen wurde: Zur Zeit arbeitet jeder in der Metallindustrie durchschnittlich (!) 1,5 Überstunden pro Woche, also 38,5 Stunden insgesamt, nicht 37 Stunden.
Muhammed: Das letzte Mal ist es der Gewerkschaft gelungen, die Auseinandersetzung um die 35 Stunden als „Defensivkampf“ zu führen. Damals waren vor allem ausgesperrte Arbeiter auf der Straße mit Plakaten „Wir wollen arbeiten“. Das bereiten sie auch jetzt schon wieder vor. Aber wir Arbeiter müssen die Unternehmer angreifen, wir müssen arbeiten, weil wir leben wollen. Aber wir müssen angreifen, müssen mehr Lohn und gegen Über-Arbeit ankämpfen. Der Unternehmer muß sagen: Ich brauche Eure Arbeitskraft. Und nicht wir: „Wir wollen arbeiten“. Das ist ganz wichtig, wir dürfen nicht immer in der Verteidigung bleiben, sonst verlieren wir immer. Das ist genauso wie im Fußball.
Interview: Anita Kugel
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