: Überdrüssig
■ Über die Inflation von Regierungserklärungen und weshalb man den Regierenden umtaufen sollte
Man sollte den Regierenden Bürgermeister umtaufen. Erklärender Bürgermeister wäre passender. Nach jeder Reise zu den alliierten Hauptstädten bemüht er sich, Grundsätzliches zu sagen. Erst, nachdem er bei Honecker war. Dann wieder nach dem 40. Jahrestag der DDR - und gestern schon wieder: Zur politischen Entwicklung in Mitteleuropa! Dazwischen Pressekonferenzen, Parteitagsreden zum selben Thema und wieder Pressekonferenzen. Was hat der Mann bloß immer Neues zu sagen? fragt man sich. Nichts, ist die trostlose Antwort.
Das ist ihm nicht vorzuwerfen, selbst die besten Redenschreiber bringen binnen kurzem nicht immer Originelles zustande. Doch warum, so fragt man sich, wird dann das Parlament damit belästigt? Sicher ist die Entwicklung in Osteuropa ein brennendes Thema, über das zu debattieren sich lohnt. Auch das Berliner Parlament sollte sich damit auseinandersetzen, schließlich ist die Situation in der geteilten Stadt immer als Indikator für den Erfolg von Entspannungspolitik und der Entwicklung zwischen Ost und West betrachtet worden.
Doch in Berlin sitzen nicht die großen Europapolitiker, und das Ost-West-Thema war nur ein Vorwand. Am Ende wurde aus dem politischen Thema ein kleinteiliger Streit über die Wohnungspolitik. Ein Streit übrigens nicht nur zwischen Regierung und Opposition. Auch Rot und Grün sind sich bekanntermaßen nicht einig. So muß sich jede Fraktion vorwerfen lassen, die Bewegung in der DDR, die Entwicklung in Osteuropa als Plattform zur Selbstdarstellung zu benutzen, um den eigenen Rundumschlag zur Lösung der stadtpolitischen Probleme zu präsentieren. Für den Senat war's eine Promotion-Veranstaltung, live übertragen im Dritten Fernsehprogramm, nicht umsonst stiegen sie alle in die Bütt. Momper, Meisner, Nagel, Schreyer. Eine aktuelle Stunde oder gar eine Regierungserklärung zum Thema „neueste Senatsbeschlüsse und die Kritik der AL“ wäre wohl kaum denkbar gewesen. Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidungen, der Politik so langweilig macht, funktioniert auch unter Rot-Grün reibungslos. Denn sonst hätte gestern ehrlicherweise das von der CDU vorgeschlagene aktuelle Thema „Polenmarkt“ auf die Tagesordnung des Parlaments gehört.
Brigitte Fehrle
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